Experte klärt aufZu viel Instagram und Co.? Wann Medienkonsum zur Sucht wird
Medien gehören zum Alltag. Aber wo zieht man die Grenze zwischen normaler Nutzung und Suchtverhalten? Und wie können wir sicherstellen, dass uns der Umgang mit Technologie nicht schadet? Dr. Andreas Hagemann hat Antworten.
Smartphone, Tablet und soziale Medien gehören inzwischen zum Alltag vieler Menschen – sei es, um Nachrichten zu konsumieren oder mit anderen in Kontakt zu bleiben. Doch wie viel Mediennutzung ist noch unbedenklich und wann spricht man von einer Abhängigkeit? Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, erklärt im Interview mit spot on news, wann der Umgang mit digitalen Medien problematisch wird, welche Auswirkungen exzessiver Konsum auf Körper und Geist haben kann, und wie sich gesunde Gewohnheiten entwickeln lassen.
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Die meisten Menschen konsumieren täglich digitale Medien. Ab wann ist Mediennutzung bedenklich und wann spricht man von einer tatsächlichen Sucht?
Dr. Andreas Hagemann: Wer sein Smartphone oder sein Tablet nicht ab und zu offline schaltet, der riskiert eine permanente Überflutung an Nachrichten, Bildern und weiteren Informationen. Problematisch wird es, wenn wir bei der Mediennutzung das Gefühl für Dauer und Zeit verlieren und diese Beschäftigung immer mehr unser Leben und unser Interesse bestimmt. Generell wird zwischen stoffgebundenen (etwa Alkohol oder Nikotin) und stoffungebundenen (Verhaltens-)Süchten unterschieden. Wenn bestimmte Verhaltensweisen die Gesundheit schädigen oder schwerwiegende soziale Auswirkungen haben, spätestens dann ist die Schwelle zur Sucht überschritten.
Antworten auf folgende konkrete Fragen können Aufschluss darüber geben, ob wir selbst von einer Mediensucht betroffen sind: Nimmt die Mediennutzung absolute Priorität ein und vernachlässigen wir andere Hobbys oder Kontakte zu Familie und Freunden? Werden wir nervös oder gereizt, wenn wir einige Zeit offline sind? Schalten wir Handy oder Tablet nicht ab, obwohl wir uns müde, matt oder gesundheitlich beeinträchtigt fühlen? Verlieren wir vor dem Bildschirm das Gefühl für Raum und Zeit? Sprechen uns Partner, Familie oder Freunde auf unseren hohen Medienkonsum an?
Wieso machen Medien uns süchtig? Was passiert da in unserem Körper?
Dr. Hagemann: Mails, Smartphone und Messenger-Dienste wie WhatsApp gehören längst zum allgemeinen Kommunikations-Standard. Sich rund um die Uhr über Smartphone oder Tablet auszutauschen, ist für viele wesentlicher Bestandteil ihres Alltags. Schon der Gedanke, eventuell auch nur kurzzeitig ohne Verbindung zu sein, lässt da den Stresslevel oftmals rapide hochschnellen. Sind das Handy oder Tablet einmal nicht zur Hand oder fallen Akku oder das Netz aus, so reagiert manch passionierter Nutzer nervös und unsicher auf die beklemmende Situation. Der Kick etwas als Erster zu posten, immer up to date zu sein und mehr zu wissen als andere (was nur einen Klick entfernt scheint), ist plötzlich unerreichbar.
Neben der Angst, etwas zu verpassen, spielt sicherlich auch der selbst auferlegte Erwartungsdruck eine große Rolle. Das heißt: Ich denke, dass das Gegenüber eine sofortige Antwort erwartet und ich entspreche nicht den Erwartungen, ich enttäusche.
Neben psychischen Störungen (wie Angstzuständen oder Depressionen) kann Medienabhängigkeit auch körperliche Beschwerden verursachen, wie etwa Kopf- oder Rückenschmerzen. Das ständige "nach unten schauen" hat auch den Begriff "Handynacken" geprägt.
Ist Mediensucht eine Krankheit?
Dr. Hagemann: Ja, definitiv. Mediensucht gehört – wie oben beschrieben – zu den nicht stoffgebundenen Süchten. Ebenso wie stoffgebundene Süchte können sie zu starken Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen führen. Die Folgen für die physische und psychische Gesundheit sowie die soziale Integrität können katastrophale Ausmaße annehmen.
Für die Diagnose einer Internetsucht gelten folgende Kriterien:
Kontrollverlust über das Verhalten, wenn z. B. auch dann nicht aufgehört wird, wenn ein wichtiger Termin ansteht oder die Situation unangemessen ist. Den Medien Vorrang gegenüber anderen Interessen eingeräumt wird, sich die Betroffenen von der Außenwelt abschotten und Familie, Freunde und Hobbys vernachlässigen. Das Konsumverhalten trotz negativer Konsequenzen eskaliert, d. h. in einem oder mehreren Lebensbereichen (Schule/ Beruf, Gesundheit, soziales Umfeld) kommt es zu negativen Konsequenzen. Trotz eines Leidensdrucks kann der Konsum nicht reduziert oder sistiert, also unterbrochen bzw. unterbunden werden. Bedingung für eine solche Diagnose ist zudem, dass die Lebensführung über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr erheblich beeinflusst wird.
Wer ist besonders gefährdet, medienabhängig zu werden?
Dr. Hagemann: Nicht jede Person, die viele Medien konsumiert, ist abhängig. Nur bei den wenigsten ist ein Suchtcharakter mit Steigerung des Konsums sowie den negativen Auswirkungen auf das Leben, wie oben beschrieben, gegeben. Zudem ist das zeitliche Kriterium sehr streng, sodass nicht jeder Konsum direkt eine Sucht ist. Jugendliche und junge Erwachsene sind hier jedoch besonders gefährdet. Sie nutzen Smartphone oder Internet selbstverständlich und laut Statistik fast ausnahmslos täglich oder mehrmals wöchentlich. Zudem befinden sie sich in einem Lebensabschnitt, in welchem viele (körperliche, psychische und soziale) Veränderungen stattfinden und die Suche nach einer Orientierung im Leben eine wesentliche Entwicklungsaufgabe ist. Dieser Hürde auszuweichen und, statt eigene Erfahrungen zu machen, am Leben anderer teilzuhaben, ist eine scheinbar leichte, verlockende Antwort auf eine komplexe Fragestellung.
Welche Folgen kann exzessiver Medienkonsum haben?
Dr. Hagemann: Der Verlust sozialer Kontakte und das regelrechte Verlernen sozialer Kompetenzen kann gravierende Auswirkungen auf die psychosoziale Entwicklung haben. Nicht selten wird in der virtuellen Welt ein Größenselbst (also ein überzogenes Gefühl der eigenen Wichtigkeit) aufgebaut, das in der Realität keine Korrelation findet. Insbesondere bei selbstwertschwachen, unsicheren Persönlichkeiten kann das Aufeinanderprallen von Realität und Virtualität schmerzhaft sein. Die Konfrontation mit der Realität und den unangenehmen Konsequenzen des eigenen Verhaltens werden vermieden. Es findet eine regelrechte Flucht aus der unangenehmen Realität statt. Ausgeprägte Ängste und weitere psychische Erkrankungen können die Folge sein, sodass sich Menschen in realen Situationen nicht mehr zurechtfinden.
Neben den psychischen Folgen können auch auf der körperlichen Ebene Schwierigkeiten entstehen. Wer täglich stundenlang ohne Ausgleich vor dem Bildschirm sitzt, der riskiert nicht nur Adipositas: Was den Fettpolstern zugutekommt, lässt die Rücken- und Bauchmuskeln regelrecht verkümmern. Haltungsschäden und Wirbelsäulenprobleme sind programmiert. Verspannte Nacken und Schultern, aber auch Arthrose, Hexenschuss und Bandscheibenvorfälle sind mögliche Folgen des Dauersitzens, der Zwangshaltung und permanenter Bewegungslosigkeit.
Was können Betroffene unternehmen, um die eigene Mediennutzung bewusst zu reduzieren?
Dr. Hagemann: Hilfreich ist es, selbst einmal zu überprüfen, wie viele Stunden man täglich online ist. Das Ergebnis wird manchen überraschen und eventuell zum achtsameren Umgang mit Handy oder Tablet motivieren. Nicht umsonst haben einige große Firmen die Weiterleitung von E-Mails außerhalb der Kernarbeitszeiten abgestellt, da eine fehlende Regeneration perspektivisch zu schlechteren Arbeitsleistungen führt.
Ein wirksames Mittel gegen digitalen Stress ist beispielsweise die Stummschalt-Möglichkeit von Handy oder Laptop, um ungestört entspannen zu können. Mein Tipp: Nehmen Sie sich generell feste Auszeiten. Bereits 20 oder 30 Minuten täglich "abgezwackt" für die eigenen Bedürfnisse, helfen dabei, dem Stress mental entgegenzusteuern. Dabei sollten zwar die Zeiten eingeplant werden, aber der Inhalt sollte flexibel nach dem dann aktuellen Bedürfnis gestaltet werden.
Ebenso hilfreich und entspannend ist es, das ständige Multitasking zu beschränken, also beispielsweise neben dem Telefonieren nicht gleichzeitige Mails zu checken oder im Internet zu surfen. Diese parallelen Tätigkeiten überfordern unser Gehirn. Denn es ist schlicht und einfach nicht in der Lage, sich gleichzeitig auf zwei komplexe Tätigkeiten zu konzentrieren. Mein Tipp: Sich besser nacheinander auf jeweils eine Sache zu konzentrieren, statt stets zwischen zwei komplexen Aufgaben hin und her zu springen. Ansonsten ist negativer Stress buchstäblich programmiert.
Welche Tipps haben Sie für Eltern, um eine gesunde Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen zu fördern?
Dr. Hagemann: Online-Zocken und Chatten gehören zu den Lieblingsbeschäftigungen der meisten Jugendlichen. Statt eines Verbots, das kaum etwas bringt, ist es besser, den Nachwuchs altersgerecht über Risiken extremen Medienkonsums zu informieren. Nicht ständig erreichbar zu sein, schafft zudem mehr persönliche Freiräume für andere abwechslungsreiche Freizeitbeschäftigungen.
Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen sollten Sie festlegen, wann und für welche Dauer die digitalen Medien online sein dürfen. Das kann zu scheinbar endlosen Konflikten und Diskussionen führen, aber wenn Grenzen als unverrückbar wahrgenommen werden, werden sie nicht mehr infrage gestellt. Hilfreich ist es daher von Beginn der Mediennutzung an Regeln aufzustellen und Medienzeit nicht als Belohnung einzusetzen. Vorteilhaft ist es dabei natürlich, wenn Sie Ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und nicht selbst pausenlos vor dem Bildschirm sitzen. Zu lernen, wieder für gewisse Zeiten ohne Handy oder Tablet auszukommen, ist generationsübergreifend eine bewährte Präventiv-Maßnahme – und einer der wichtigsten Therapieschritte im Falle einer Mediensucht.
Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck. Diese Kliniken für Psychiatrie und Psychosomatik sind spezialisiert auf Angst- und Panikstörungen, chronische Schmerzen und Stressfolgeerkrankungen wie Burnout und affektive Erkrankungen wie Depressionen.