InterviewESC-Gewinner Salvador Sobral: „Madonna beim ESC? Großartig!“
Vor zwei Jahren gewann Salvador Sobral mit dem Song „Amar Pelos Dois“, geschrieben von seiner Schwester Luísa, den Eurovision Song Contest für sein Land Portugal. Mit der zärtlichen Nummer traf der Sänger Europa mitten ins Herz – bis er selbst ein neues brauchte. Im Dezember 2017 erhielt er ein Spenderorgan. Heute geht es ihm wieder prächtig.
Mit „Paris, Lisboa“ hat der 29-Jährige gerade sein zweites Album veröffentlicht und geht auf seine erste Deutschland-Tour. Beim Treffen in Hamburg mit klatsch-tratsch.de-Autorin Katja Schwemmers sieht er viel gesünder und jünger aus als noch vor zwei Jahren und ist bestens aufgelegt, als er von seinem neuen Herzen, seiner neuen Frau und Madonna schwärmt.
Herr Sobral, wie jüngst vermeldet wurde, wird Madonna beim diesjährigen Eurovision Song Contest in Israel zwei Songs darbieten.
Was? Wirklich? Sie geht wahrhaftig nach Palästina und performt in Tel Aviv? Das ist mal ’ne Nachricht! Madonna ist großartig – heute wie damals. Wenn ich sie wäre, würde ich ein T-shirt mit der Aufschrift „Free Palestine“ tragen. Aber das ist nur meine rebellische Seite.
Madonna lebt ja wie Sie in Lissabon.
Ich glaube, sie wird uns demnächst verlassen. Zumindest hörte ich das.
Könnte etwas von der Euphorie auf die Queen of Pop abgefärbt haben – nach Ihrem Sieg bei dem Wettbewerb vor zwei Jahren?
Gut möglich, sie hat das ja hautnah miterlebt; den Wahnsinn, der um mich herum passierte. Sie hat sich in Lissabon nicht abgeschottet. Es ist seltsam mit Madonna und mir. Ich habe viele Freunde aus Lissabon, die mit ihr befreundet sind. Sie fragten mich, ob ich mit zum Abendessen zu ihr kommen möchte. Vier Mal oder so. Aber jedes Mal war ich anderweitig verpflichtet, durch ein Konzert oder ähnliches. Einmal kam eine Einladung, da lag ich im Krankenhaus und konnte auch nicht. Vermutlich wird sie Lissabon verlassen, und wir haben uns nie getroffen. Das ist echt traurig.
Haben Ihnen Ihre Freunde Feedback gegeben, wie Madonna Sie findet?
Nein, keine Ahnung. Aber ich habe bei einem Freund von mir, der ein sehr guter Freund von ihr ist, viele Videos mit ihr gesehen. Die Beiden veranstalten Dinner-Partys in Lissabon und machen danach Musik zusammen.
Aber noch mal zurück zu Ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest 2017: Sie waren damals schon schwer herzkrank.
Ja, weshalb meine Schwester die erste Woche der Proben für mich übernommen hatte. Denn die Ärzte sagten mir: „Wenn Sie schon daran teilnehmen, können Sie nicht mehr als eine Woche durchhalten.“ Bei ESC probst du aber zwei Wochen für einen dreiminütigen Auftritt. Das ist schon verrückt. Ich komme ja aus dem Jazz – wir proben nie! Ich fand es schon nach ein paar Tagen sehr ermüdend. Um ein Haar wäre ich deswegen wohl disqualifiziert worden.
Warum das?
Ich wollte bei den Proben das Lied mal auf Englisch singen, weil es so ermüdend war. Meine Schwester schrieb also einen englischen Text. Gerade in dem Moment, als ich damit auf die Bühne gehen wollte, sagte die Leiterin der portugiesischen Delegation: „Bist du verrückt? Das kannst du nicht bringen. Du musst es wie im Finale singen. Sie können dich sonst aus dem Wettbewerb schmeißen.“ Schon für die Proben werden ja Tickets verkauft – so groß ist Eurovison! Wenn ich also nicht gewarnt worden wäre, hätte es mich in dem Wettbewerb vielleicht nicht gegeben.
Auf der deutschen Eurovision-Seite steht ein Artikel über Sie mit der Überschrift „Der undankbare Sieger“, da Sie sich mitunter abfällig über den Wettbewerb geäußert haben sollen.
Nein, das war nur mein Sarkasmus. Meine Äußerungen waren ironisch gemeint. Aber ich habe in den letzten zwei Jahren auch gelernt, dass Journalisten Humor und Sarkasmus nicht unbedingt verstehen oder verstehen wollen. Als ich sagte, ich hätte mich beim ESC prostituiert, war das Spaß im Rahmen eines Gesprächs. Denn natürlich bin ich dankbar. Ich habe es schon diverse Male gesagt, dass ich sehr dankbar bin. Aber das wird nicht gedruckt, denn es ist nicht so spektakulär. Die Leute wollen Blut sehen.
Also haben Sie sich nicht prostituiert?
Nein! Ich habe auf stolze Art einen wunderschönen Song performt. Ich hätte vor den 200 Millionen Leuten ja auch einen trashigen Song performen können – dann wäre ich nicht stolz. Aber natürlich bin ich verdammt noch mal stolz darauf! Ohne den ESC würden wir hier jetzt auch nicht sitzen, bei Warner Music Deutschland, und sprechen. Mein Manager sagt allerdings immer: „Wir hätten das alles auch so erreicht, aber es hätte bestimmt zehn Jahre gebraucht.“
Portugiesisch-sprachiges Liedgut ist vermutlich auch nicht so einfach exportierbar wie englisches.
Ich habe das schon beim ESC gar nicht so gesehen, dass ich auf Portugiesisch singe. Ich sang einfach nur Musik. Ich sang Emotionen. Das war meine Sprache.
Waren Sie nach dem Sieg ein Nationalheld in Portugal?
(lacht) Ja, für eine Weile. Bis die Leute kapierten, dass ich doch eher zum Anti-Helden tauge.
Inwiefern?
Weil ich immer sage, was ich denke. Das ist nicht unbedingt üblich. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, verbiegen sich Künstler gerne mal. Ich sollte das vielleicht besser auch so machen, denn mir wird alles Gesagte immer wieder um die Ohren gehauen. Manchmal komme ich nach einem Interview nach Hause und denke: Mist, das hätte ich besser für mich behalten. Und ich leide darunter, wenn Dinge geschrieben werden, weil Leute etwas falsch interpretieren, weil sie meinen Humor nicht verstehen. Aber ich bin schon ein bisschen vorsichtiger geworden heutzutage.
Aber auf der Straße von Lissabon sind Ihnen trotzdem die Menschen hinterhergerannt?
Ja, das war anfangs schon heftig. Vor dem ESC-Sieg spielte ich Gigs in Bars, und es kamen vielleicht 50 Leute. Und dann warten von heute auf morgen plötzlich Hunderttausende auf dich am Flughafen. Ich war wie gesagt sehr krank und ständig müde. Ich erlebte schnell die Schattenseiten des Ruhms. Überall wurde geschrieben: „Er wird sterben, weil er kein Spenderherz findet.“ Menschen belagerten das Krankenhaus und kamen sogar in das Zimmer, in dem ich lag.
Ernsthaft?
Ja! Es standen plötzlich Leute neben meinem Krankenbett, die fragten: „Salvador, können wir ein Foto machen?“ Das ist in den sechs Monaten, die ich im Krankenhaus lag, zwei oder drei Mal vorgekommen.
Im September 2017 spielten Sie vorerst Ihren letzten Gig. Dachten Sie in dem Moment: Das war’s jetzt?
Nein, ich wusste, dass sich alles fügen würde. Deine Gedankenwelt passt sich jeder Situation an. Aber die Ärzte, die schon eine Weile besorgt waren, befahlen mir, aufzuhören und ins Krankenhaus zu kommen. „Wir müssen uns um dich kümmern“, sagten sie. Besagter Gig war das traurigste Konzert, das ich je gespielt habe. Wir weinten alle dabei, denn meine Band besteht aus meinen besten Freunden. Gleichzeitig war ich hoffnungsvoll, dass es wieder gut wird. Ich dachte sogar, dass ich früher zurückkommen würde. Ich hatte eher so die Einstellung: Okay, ich gehe ins Krankenhaus und eine Woche später haben sie ein Herz für mich gefunden.
Wie lange mussten Sie auf ein Spenderherz warten?
Ich war ja schon auf der Warteliste, bevor ich ins Krankenhaus kam. Es war sehr heikel. Ich absolvierte Tests, um zu zeigen, dass ich ganz nach oben auf die Liste gehöre. Insgesamt wartete ich knapp zwei Jahre auf das neue Herz.
In Deutschland sterben jährlich 2.000 Menschen dadurch, dass sie kein Spenderorgan finden.
Ja, davon hörte ich. In Portugal ist man mit der Geburt automatisch ein Organspender. Und in Spanien auch. Ihr müsst das Prozedere bei euch dringend ändern! Die meisten Leute vergessen, Organspender zu werden. Es ist nicht ihre Schuld – das Gesetz muss einfach eine Grundlage dafür schaffen.
Ihre Musik hat auch viel Herz. Dafür muss man die Texte nicht mal verstehen.
Danke! Das hatte sie allerdings auch schon vor der Herztransplantation. Das Herz ist nur ein Muskel, die Seele ist immer noch dieselbe. Es fühlt sich mit neuem Herzen nicht anders an. Der erste Song des neuen Albums handelt von der Katharsis nach der Herz-Transplantation.
Sie haben mal über sich selbst gesagt, dass Sie zu Zeiten des ESC fundamentalistischer unterwegs waren. Hat Sie das Erlebte softer und glücklicher gemacht?
Ich war seinerzeit nicht nur mürrisch wegen der Gesundheit, sondern auch wegen des ganzen Rummels und den verbalen Angriffen auf mich nach dem ESC. Ja, ich war ein bisschen sauer. Aber alles in allem war ich damals eine glückliche Person. Ich war einfach nur in den Interviews recht rebellisch drauf. Diese Seite habe ich auch nicht abgelegt. Aber es stimmt, ich bin gerade sehr glücklich mit meinem Leben und überaus dankbar.
Auf der deutschen Wikipedia-Seite steht etwas davon, dass Ihre Familie Wurzeln in Holstein hat. Stimmt das?
Sie sind schon die zweite Person, die mich das fragt. Das ist nicht richtig. Unser Name ist Braamcamp, aber der führt nach Holland, nicht nach Deutschland.
Stimmt es denn, dass Sie einer Adelsfamilie entspringen?
Ja, meine Familie gehört zur portugiesischen Aristokratie. Aber ich hatte Glück, denn meine Eltern sind eher der Hippie-Teil der Aristokratie. (lacht) Meine Eltern waren immer sehr offen. Mein Vater zieht sich – und manchmal auch meine Mutter – heute noch total verrückt an. Sie sind cool.
Wie stolz ist Ihr Vater auf Sie?
Wahnsinnig stolz. Aber das war er schon, als ich ein kleiner Junge war. Da sagte er immer: „Du bist der beste Sänger der Welt.“ Er sagt das heute noch. Wenn ich dann antworte: „Nun mach mal halblang, Vater.“ Dann sagt er: „Nein, daran gibt es für mich nicht den geringsten Zweifel.“ Vor ein paar Tagen erst spielte ich mit vielen portugiesischen Musikgrößen ein Benefiz-Konzert zugunsten von Mosambik, wo durch eine Flut viele Menschen getötet oder obdachlos wurden. Und mein Dad meinte danach: „Du warst der Beste.“ Nach dem Eurovision-Sieg sagte er: „Glaubst du mir das nun endlich?“ Aber meine Mutter ist genauso.
Ein Mangel an Selbstbewusstsein war eh nie Ihr Problem, oder?
Ach, ich bin schon unsicher. Dass ich anders rüberkomme, ist nur ein Verteidigungsmechanismus bezüglich meiner Musik. Ich bin eigentlich nie zufrieden nach einem Konzert. Typisch Künstler eben. Wir sind nun mal Märtyrer.
Sind Sie auch ein Aktivist?
Ich sehe mich eher als Humanist. Ich habe bestimmte Ideale, bin aber nicht politisch organisiert. Ich stehe in Verbindung mit der Flüchtlingshilfe Portugals, aber noch habe ich es zeitlich nicht hinbekommen, mich da vollends zu engagieren.
Wie politisch sind Ihre Songs?
Dieses Album ist nicht politisch. Es sind einfach nur Lieder, die ich liebe. Ich habe die Texte zu fünf Liedern selbst geschrieben. Der politischste Song ist vermutlich „Benjamin“, der von einem Mädchen handelt, das sich nicht wohl in ihrem Körper fühlt und lieber ein Junge werden will. Es ist meine Transgender-Hymne.
Wie ist das mit der Liebe?
Nachdem ich ein neues Herz bekommen hatte, habe ich es einer Frau geschenkt. (lacht) Ich habe meine Freundin geheiratet. Wir haben so viel zusammen durchgemacht, es waren echt harte Zeiten. Wir wollten die Liebe und das Leben feiern. Unsere Hochzeit war also eine prima Entschuldigung, alle Freunde einzuladen und ein großes Fest zu veranstalten.
Wie bereiten Sie sich auf Ihre Deutschland-Tour vor?
Ich will ein bisschen Deutsch lernen, zumindest ein paar Sätze. Und ich werde mich mit der deutschen Kultur beschäftigen und etwas über das Land lernen. Es wird also echt ein kultureller Trip für mich! Ich mache das immer so. Wir waren gerade in Polen. Ich lernte einen polnischen Song und sang ihn auf der Bühne.
Vielleicht singen Sie diesmal einen deutschen Song?
Wer weiß! Ich lass das noch mal offen.
Album: Salvador Sobral „Paris, Lisboa“ (Warner)
Tourdaten
23.4. Essen, Lichtburg Essen
24.4. Frankfurt, Batschkapp
25.4. Hamburg, Elbphilharmonie
27.4. Berlin, Heimathafen Neukölln
28.4. Nürnberg, Kleine Meistersingerhalle
30.4. Stuttgart, Liederhalle Mozartsaal