Neue ErkenntnisseDie Toten vom Djatlow-Pass: Führt die Eiskönigin zu des Rätsels Lösung?
Um das Unglück am Djatlow-Pass in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1959 ranken sich bis heute viele Mythen. Im Uralgebirge starben neun Ski-Wanderer auf unerklärliche Weise. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse.
Das Schicksal der neun verunglückten Wanderer beschäftigt die Menschheit seit vielen Jahrzehnten. Was ist in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1959 passiert? Zahlreiche Experten, Forscher und Crime-Fans stellten zahlreiche Theorien auf, von Außerirdischen, Feuerbällen, Yetis und einer Naturkatastrophe war alles dabei. Auch einen Tod von Menschenhand wurde nicht ausgeschlossen.
Das Unglück
Zehn erfahrene Ski-Wanderer, acht Männer und zwei Frauen, brachen Ende Januar 1959 zu einer Tour durch das Gebirge des nördlichen Urals auf und wollten nach 16 Tagen, spätestens am 14. Februar 1959 nach 350km Wanderung an ihrem Zielort, einer Siedlung in Wischai eintreffen. Geführt wurde die Gruppe vom 23-jährigen Igor Djatlow, der als erfahrener Wanderer und Sportler galt. Der Gebirgspass, an dem sich das Unglück ereignete, wurde später nach ihm benannt.
Bereits am 28. Januar brach einer der Männer, der Wanderer Juri Judin, aufgrund von Krankheit die Skitour ab und verabschiedete sich von der Gruppe. Davon zeugen mehrere Fotos. Judin, der als einziger Überlebender gilt, sagte später aus, dass es keine Auseinandersetzungen oder Diskrepanzen innerhalb der Gruppe gab und das die Teilnehmer in guter Verfassung gewesen seien.
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Suchaktion
Nachdem die Gruppe nicht wie geplant am 14. Februar 1959 in Wischai aufschlug, wurden vorerst keine Suchmaßnahmen in Angriff genommen, da Verspätungen bei solchen Touren keine Seltenheit waren. Nach sieben Tagen ohne ein Lebenszeichen der Gruppe, begannen am 21. Februar 1959 die Suchmaßnahmen nach den verschollenen Wanderern.
Wegen der schlechten Witterung wurden erst sechs Tage später am Hang des Berges Cholat Sjachl die ersten beiden Leichen von Juri Doroschenko und Georgi Kriwonischtschenko gefunden. Kurz darauf stieß man auch auf die Leichen von Igor Djatlow, Sinaida Kolmogorowa und Rustem Slobodin.
Die Leichname von Ljudmila Dubinina, Alexander Kolewatow, Semjon Solotarew und Nikolai Tibo-Brinjol wurden erst zwei Monate später, am 4. Mai, nah beieinander und übel zugerichtet viel weiter weg vom gemeinsamen Zelt unter einer rund vier Meter dicken Schneeschicht geborgen.
Verschiedene Theorien
Der Fundort der Leichen verteilt sich rund um den langgezogen leichten Hang des Berges und auch die Tatsache, dass die Wanderer teilweise entkleidet mit Schädel- und Rippenbrüchen, fehlenden Augäpfeln und einer herausgerissenen Zunge aufgefunden wurden, ließ viele Rätsel offen.
Weil die genauen Umstände um den Tod der Wandergruppe nie geklärt werden konnte und Informationen von offiziellen Stellen zurückgehalten wurden, ranken sich bis heute Spekulationen von Verschwörungstheoretikern um den Fall, wie z.B. vom militärischen Tests oder übernatürlichen Angriffen von Außerirdischen, einem aus dem Ruder gelaufenen Treffen mit US-Spionen und gar Yetis.
War es doch eine Lawine?
Vor zwei Jahren begannen russischen Behörden auf privaten Druck hin den Fall erneut aufzurollen und sollen nach Untersuchungen zu dem Entschluss gekommen sein, dass die Wanderer Opfer einer Lawine geworden sind. Diese Theorie wurde nun auch in einem Artikel der Fachzeitschrift „Communications Earth and Environment“ bekräftigt. Zur Erinnerung: Die These machte bereits im Unglücksjahr erstmals die Runde und gilt für viele bis heute am Schlüssigsten. Aber eben nicht für die meisten.
Dem neusten Erklärungsversuch soll die Tatsache vorausgestellt werden, dass die Djatlow-Gruppe ihr großes Zelt am Unglückstag in einer Schneekuhle in einem Gebiet aufgestellt hatte, dessen Neigung eigentlich zu gering erschien, um eine Lawine auszulösen. Damals sollen bis zu minus 40 Grad geherrscht, es aber an dem besagten Tag keinen Neuschnee gegeben haben.
Die wellige Hügelkette wirkte an ihrem Fuße durch meterhohen Schnee flacher. Eisige Winde hatten den Schnee von den Hängen heruntergetrieben, so dass das Gefälle insgesamt flacher wirkte.
Der Hang war steiler als angenommen
Geotechniker Alexander Puzrin von der ETH Zürich nahm sich der Lawinen-Theorie an und gemeinsam mit Johan Gaume, Leiter des Labors für Lawinensimulation an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne, untersuchten sie diese Denkansätze anhand einer Computersimulation, berichtete NationalGeographic.com.
Schnell stellte sich heraus, dass der Unglücks-Hang in Wahrheit steiler war, als zuvor angenommen. Die ausgelöste Lawine war mit rund fünf Metern Länge eigentlich verhältnismässig klein gewesen, weswegen sie offenbar nicht sofort als Lawine erkannt wurde. Und: „Die wellige Topografie am Cholat Sjachl, die von Schnee bedeckt war, ließ den Hang flach erscheinen.“
Ein Disney-Film soll helfen
Johan Gaume reiste für seine Arbeit schließlich auch nach Kalifornien, um die Film-Animatoren des Disney-Films „Die Eiskönigin“ zu treffen. Gaume erinnerte sich, wie beeindruckend er die Bewegung von Schnee in dem Animationsstreifen von 2013 fand, die darin zu sehen war.
So ließ sich Gaume den Schnee-Animationscode geben, mit dem die Spezialisten auch in dem Film gearbeitet hatten. Diesen adaptierte er in sein Computermodell, um herauszufinden, welche Auswirkungen Lawinen dieser Art an Hängen mit einer Neigung von nur 30 Grad auf den menschlichen Körper haben.
Die neuen Erkenntnisse
So konnten die beiden Forscher feststellen, dass diese verhältnismäßig kleine Lawine einem Menschen solche Verletzungen zufügen kann, wie sie bei den Wanderern vorgefunden wurden. Die Camper hatten „ihr Bettzeug auf ihren Skiern aufgebaut“, zitiert National Geographic aus dem Bericht. „Die Computermodelle zeigten, dass ein knapp fünf Meter langer Block aus kompaktem Schnee in dieser einzigartigen Situation problemlos die Rippen und Schädel von Menschen brechen könnte, die auf einer festen Unterlage schlafen.“
Auch wenn nicht alle Forscher von dieser Theorie überzeugt sind und es viele Gegner der Lawinen-Darstellung gibt, scheint es wohl die plausibelste Erklärung zu sein.
Viele offene Fragen bleiben
Trotzdem bleiben zahlreiche offene Fragen in diesem mysteriösen Fall, die auch nach den neuesten Ermittlungen wohl für immer ungeklärt bleiben.
Diese aktuelle Studie versucht nicht, alle noch offenen Rätsel zu erklären, heißt es weiter. Was nach dem Lawinenabgang geschah, bleibt somit weiter Spekulation, wie beispielsweise der Zustand der Entkleidung, in dem einige der Skitouristen gefunden wurden. Oder die fehlenden Körperteile bei den einen und ein angesengter Fuß von einem der Touristen, der offensichtlich von einem Baum gefallen war. Und dann waren da noch jene Ausrüstungsgegenstände wie Skier, die unverändert an den Stellen gefunden wurden, bei denen sie während des Zeltaufbaus auf Fotos zu sehen waren…
Hier geht’s zum ausführlichen Bericht von National Geographic.
(TT/ PV)