Weibliche Herzen schlagen andersHerzinfarkt: Darum wird er bei Frauen oft erst spät erkannt

Das Buch "Herzenssache" ist ab 7. Oktober bei Hoffmann & Campe  erhältlich. (sv/spot)
Das Buch "Herzenssache" ist ab 7. Oktober bei Hoffmann & Campe erhältlich. (sv/spot)

Hoffmann & Campe

SpotOn NewsSpotOn News | 29.09.2024, 18:59 Uhr

Ein Herzinfarkt wird bei einer Frau oft nicht sofort erkannt, denn die Symptome können ganz anders sein als bei Männern. Auch bei anderen Herzerkrankungen gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Kardiologe Prof. Dr. Michael Becker erklärt im Interview, worauf Frauen achten müssen.

Das weibliche Herz ist anders als das männliche. Auch die Risikofaktoren für diverse Herzerkrankungen unterscheiden sich zwischen den Geschlechtern. Prof. Dr. Michael Becker plädiert in seinem Buch "Herzenssache. Warum Frauenherzen anders schlagen" (Verlag Hoffmann & Campe), das am 7. Oktober erscheint, für die Wichtigkeit der genderspezifischen Medizin. Als Professor der Kardiologie und Gründer des Frauen-Herzzentrums in Würselen behandelt er Tausende Frauen aus ganz Deutschland und dem Ausland.

Im Interview mit spot on news verrät der Facharzt, wie anders die Symptome für einen Herzinfarkt bei Frauen sind, wieso es für Ärztinnen und Ärzte oft schwieriger ist, diesen festzustellen und welchen Risikofaktoren Frauen besonders ausgesetzt sind. Außerdem zeigt er auf, welche Herzerkrankungen bei Frauen noch häufiger und unterschiedlicher auftreten als bei Männern.

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Worin besteht der größte Unterschied zwischen dem Herzen einer Frau und dem eines Mannes?  

Prof. Dr. Michael Becker: Es fängt bei der Größe an: Frauen haben im Durchschnitt eine geringe Körpergröße und ein geringeres Körpergewicht, daher ist auch das weibliche Herz eher kleiner. Aber es ist nicht einfach nur eine kleinere Version des männlichen Herzens, sondern es funktioniert auch anders: Das Herz von Frauen schlägt schneller, zieht sich stärker zusammen und pumpt pro Herzaktion einen höheren Anteil des Blutes, das sich im Herzen befindet, in den Körper.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Frauen oft zu spät behandelt werden, weil ihre Symptome unterschätzt werden. Inwiefern unterscheiden sich die Symptome eines Herzinfarktes bei Männern und Frauen? 

Prof. Dr. Becker: Das typische Symptom eines Herzinfarktes ist ein Druck auf der linken Brust. Diese Schmerzen strahlen häufig in den linken Arm und die linke Schulter aus. Heutzutage wissen die meisten Menschen, dass diese Schilderung ein Warnsignal ist und sofort der Rettungsdienst angerufen werden sollte. Bei der Frau können diese Beschwerden auch auftreten, oft sind die Probleme aber diffuser und nicht so klar auf die linke Brust lokalisiert. Viele Frauen klagen im Rahmen eines Herzinfarktes eher über Unwohlsein und Übelkeit, dazu werden dann Nacken-, Kiefer-, Oberbauch- oder Rückenschmerzen beschrieben, die oft als brennend und nicht als drückend wahrgenommen werden. Das macht es den Ärztinnen und Ärzten gelegentlich schwierig, an einen Herzinfarkt zu denken.

Kann ein Herzinfarkt bei einer Frau mit denselben Methoden ähnlich schnell erkannt werden, wie bei einem Mann? 

Prof. Dr. Becker: Ja! Um einen Herzinfarkt festzustellen, müssen rasch nach Beginn der Beschwerden Blut abgenommen und ein EKG geschrieben werden. Das ist internationaler Standard. Leider findet das bei Frauen nicht immer statt. Es gibt Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Frauen, die mit Beschwerden in der Brust einen Krankenwagen gerufen haben, seltener einen Zugang in die Venen mit entsprechender Blutabnahme und ein EKG bekommen haben. Sie wurden auch seltener für eine weitere Abklärung ins Krankenhaus gebracht.

Dabei ist der "springende Punkt" wie so häufig das unterschätzte Risiko bei Frauen: Es wird eher an ein emotionales oder gar hysterisches Problem gedacht und nicht an die Option einer Herzerkrankung.

In Ihrem Buch heißt es, dass Frauen seltener den "klassischen" Herzinfarkt erleiden als Männer. Gibt es einen "klassischen" Herzinfarkt bei Frauen? 

Prof. Dr. Becker: Ein Herzinfarkt bedeutet, dass die Blutversorgung des Herzens über die Herzkranzgefäße, die wie ein Kranz um das Herz herumlaufen, dramatisch reduziert oder sogar ganz unterbrochen ist. Dies geschieht meistens an einer Stelle in den Gefäßen durch eine Ansammlung von Kalk, Fett und anderen Anteilen, die den Durchfluss des Blutes immer mehr einengen. Bei Frauen kommt es häufig ohne diese Einengungen zu einer Störung der Herzdurchblutung, dies geschieht zum Beispiel durch einen spontanen Einriss oder einer Verkrampfung eines Herzkranzgefäßes. Die Folge eines Infarktes ist aber gleich, der Herzmuskel nimmt Schaden.

Haben Frauen andere Risikofaktoren in Bezug auf einen Herzinfarkt oder allgemein der Herzgesundheit? 

Prof. Dr. Becker: Wir kennen verschiedene Faktoren, die das Risiko für eine Herzerkrankung erhöhen können, dazu zählen ein Übergewicht, das Rauchen, erhöhte Blutfette, ein erhöhter Blutdruck, die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) und angeborene sowie genetische Aspekte. Die Häufigkeit dieser Risikofaktoren sind bei Frauen und Männern vergleichbar, die Auswirkungen auf das Herz ist aber für Frauen z. B. auf die Zuckererkrankung und das Rauchen größer. Raucherinnen und Diabetikerinnen bekommen also deutlich häufiger einen Herzinfarkt als rauchende Männer mit Zuckererkrankung.

Es gibt aber auch Risikofaktoren, die nur bei Frauen vorkommen wie ein spezieller Bluthochdruck, der im Rahmen einer Schwangerschaft auftreten kann. Es gibt verschiedene soziokulturelle Aspekte, die bei Frauen größere Schäden an der Gesundheit und dem Herzen verursachen können. Das sind zum Beispiel negative Einflüsse durch Umweltfaktoren, ein geringeres Annehmen von gesundheitsfördernden Maßnahmen oder chronischer Stress, etwa durch Arbeitslosigkeit, Mehrfach-Belastungen durch Familie und Beruf und emotionale oder körperliche Misshandlungen.

Welche Herzerkrankungen kommen bei Frauen häufiger vor als bei Männern? 

Prof. Dr. Becker: Wir haben bereits über den Herzinfarkt gesprochen, der gerade bei jüngeren Patientinnen häufiger als bei Männern durch einen Einriss der Gefäß-Innenhaut entstehen kann.

Ein weiteres Beispiel für eine Geschlechtsabhängigkeit von Herzerkrankungen ist das "gebrochene Herz", das vor allem bei Frauen nach den Wechseljahren und als Reaktion auf ein sehr starkes Stresserlebnis auftreten kann. Bei Männern ist der Auslöser häufiger körperlicher Stress, bei Frauen überwiegen extreme emotionale Belastungen. Schaut man sich an, welche emotionalen Impulse die Patientinnen und Patienten angeben, sind diese bei Frauen oft negativer Art, wie zum Beispiel ein Todesfall in der Familie oder eine schlimme Diagnose. Männer hingegen geben eher ein eigentlich positives Ereignis an wie zum Beispiel einen Lottogewinn oder den Aufstieg des Lieblingsvereins.

Auch bei der Herzschwäche finden sich viele Unterschiede: so leiden Frauen besonders oft an einer Herzschwäche, die durch eine Muskelverdickung des Herzens verursacht wird. Bei Frauen führen Autoimmunerkrankungen häufiger zur Entstehung einer Herzschwäche. Und auch Chemotherapien zur Bekämpfung einer Krebserkrankung können während und noch lange Zeit nach der Gabe zu einer Herzschwäche führen, da die Präparate nicht nur die Krebszellen, sondern leider auch Zellen des Herzmuskels angreifen können. Dies wird bei Frauen vermehrt beobachtet und tritt besonders nach der Behandlung von Brustkrebs auf. Es gibt Risikofaktoren für die Entstehung einer Herzschwäche, die nur bei Frauen auftreten, wie zum Beispiel eine Variante, die während und bis zu einigen Monaten nach einer Geburt auftreten kann.

Bei welchen Symptomen sollten besonders Frauen wachsam sein? 

Prof. Dr. Becker: Für das Herz verdächtige Beschwerden werden oft als ein Druckgefühl in der Herzgegend beschrieben. Frauen beschreiben die Schmerzen eher als "ziehend", lokalisieren sie im Rücken, Hals und Oberbauch und klagen über Kurzatmigkeit, Übelkeit und Schwäche oder geben störendes Herzstolpern und -rasen an.

Ob Beschwerden eine harmlose Ursache haben, ist häufig nicht direkt zu klären, da jeder Mensch Schmerzen anders beschreibt und vor allem anders empfindet. In vielen Fällen bedarf es daher einer genaueren Abklärung.