Psychische Widerstandsfähigkeit erklärtPsychiater im Interview: Resilienz stärken, psychisch gesund bleiben
![Wie hoch die persönliche Resilienz ist, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. (sv/spot)](https://www.klatsch-tratsch.de/wp-content/uploads/2025/02/e7809f9d722fa952caa18409f8d42076-900x506.jpg)
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Der Begriff Resilienz begegnet uns gern auf Social Media. Diese Widerstandsfähigkeit fungiert als eine Art Immunsystem für die Psyche - und genauso lässt sie sich auch durch "Impfungen" stärken, wie ein Psychiater im Interview erklärt.
Die sozialen Medien sind voll mit Tipps zu mehr Achtsamkeit, Selbstfürsorge oder mentaler Gesundheit. Spätestens seit der Corona-Pandemie begegnet man dabei auch inflationär dem Begriff Resilienz, einem Wort, dass die Widerstands- oder Anpassungsfähigkeit beschreibt, um psychische Krisen zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen. Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter erklärt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news, warum es wichtig ist, sich mit der eigenen Resilienz zu beschäftigen. Dabei warnt er vor den einfachen Rezepten, die auf Instagram und Co. angepriesen werden.
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In Ihrem Buch "Resilienz – Zwischen Coach und Couch" beschäftigen Sie sich sehr lange mit der Definition von Resilienz. Wie lässt sie sich kurz in einfachen Worten erklären?
Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter: Resilienz ist unser psychologisches Immunsystem – und funktioniert auch ähnlich. Wir werden im Laufe unseres Aufwachsens immer wieder mit widrigen Umständen konfrontiert. Dabei lernen wir, sie zu bewältigen oder mit ihnen umzugehen – und unsere Widerstandskraft wächst daran. Das wird in der Wissenschaft als Stressimpfung bezeichnet. Es entspricht den natürlichen Impfungen durch regelmäßige Erkältungen und Kinderkrankheiten. Wachsen wir in einer sterilen Umgebung auf, bilden wir kein Immunsystem aus. Und werden wir von allen Problemen ferngehalten, so entwickeln wir keine Resilienz. Auch unser psychisches Immunsystem wächst mit seinen Aufgaben. Und wie durch medizinische Impfungen können wir es auch gezielt stärken.
Warum ist es wichtig, sich mit der eigenen Resilienz zu beschäftigen?
Prof. Dr. Walter: Wer versteht, wie sie funktioniert, kann die eigene Resilienz besser pflegen und stärken. Die beste Nachricht dabei: Die meisten Menschen sind meistens resilient – selbst nach schrecklichen Ereignissen.
Was macht eine starke Resilienz aus?
Prof. Dr. Walter: Resilienz ist keine Eigenschaft, sondern ein Ergebnis, nämlich trotz Belastungen psychisch gesund zu bleiben oder es rasch wieder zu werden. Dazu tragen viele einzelne Fähigkeiten und Faktoren bei, die sogenannten Resilienzfaktoren. Sind diese gut ausgebildet, deuten sie auf eine hohe Resilienz hin, sind sie schwach ausgebildet, auf eine geringe Resilienz.
Die Wissenschaft kennt inzwischen mehr als ein Dutzend gesicherte Resilienzfaktoren. Dazu zählen u. a. die Fähigkeit, Problemen nicht auszuweichen, sondern sie aktiv zu bewältigen (Coping), eine hohe geistige Flexibilität, die Fähigkeit, seine Emotionen zu regulieren, v. a. durch einen positiven Bewertungsstil und Akzeptanz. Aber auch Optimismus, das Erleben positiver Emotionen, Zuversicht, ein gut ausgeprägtes Selbstwertgefühl, Sinnhaftigkeit im eigenen Leben, das Gefühl der Kohärenz, Religiosität und Spiritualität, Zuversicht, Humor oder die Überzeugung, Dinge im Griff zu haben. Auch bestimmte körperliche Faktoren zählen dazu, insbesondere ein gesundes Darmmikrobiom, eine funktionierende Blut-Hirnschranke und bestimmte Aspekte der Hirnstruktur und -funktion.
Haben Sie sich alle gemerkt? Nein? Und das ist das Problem. Es gibt mehr, als man sich merken, geschweige denn trainieren kann. Und selbst wenn, gibt es das Resilienzparadoxon. Jeder Faktor allein erklärt nur wenig und auch alle zusammen nicht die ganze Resilienz. Das hat Folgen für die Frage, ob und wie man Resilienz trainieren sollte.
In Ihrem Buch finden die viel zitierten "sieben Säulen der Resilienz" kaum Erwähnung. Werden diese überbewertet?
Prof. Dr. Walter: Jein. Tatsächlich sind sie ein Teil der von mir diskutierten Resilienzfaktoren. Aber ohne zu verstehen, was Resilienz im Detail ist, wie sie funktioniert und wo ihre Grenzen sind, sind sie etwa so nützlich wie die drei Tipps, um sich nicht zu erkälten, oder die fünf Faktoren, um an der Börse reich zu werden. Trauen Sie solch einfachen Rezepten nur so weit, wie Sie der Werbung glauben.
Welche Faktoren können positiven oder auch negativen Einfluss auf die Resilienz haben?
Prof. Dr. Walter: Zu positiven Einflüssen zählt alles, was Resilienzfaktoren stärkt, beispielsweise mindestens eine wohlwollende Bezugsperson in der Kindheit, ein gutes soziales Netz, ein gesunder Körper, geistige Flexibilität oder ein positives Mindset. Negativ wirkt sich alles aus, was Resilienzfaktoren schwächt, etwa die Neigung, zu katastrophisieren, ein ungesunder Lebensstil (Ernährung, Bewegung, Schlaf), die Vermeidung unangenehmer Emotionen oder die mangelnde Erfahrung mit Stressbewältigung.
Ist es für Menschen, die bereits von Burnout, Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung betroffen sind, schon zu spät, ihre Resilienz zu stärken?
Prof. Dr. Walter: Im Gegenteil. Maßnahmen zur Stärkung von Resilienz haben bei Menschen mit psychischen Problemen teilweise sogar stärkere Effekte.
Kann oder sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um die Resilienz zu stärken?
Prof. Dr. Walter: Man kann. Idealerweise durch einen erfahrenen Coach oder Therapeuten mit viel Erfahrung. Es gibt auch "Resilienztrainer" – das ist aber kein geschützter Begriff. Professionelle Hilfe ist aber nicht zwingend notwendig. Man kann auch selbst viel dazu beitragen. Gute Literatur kann dabei helfen.