Tipps von Autorin Annette LiesSo lernt man, Nein zu sagen
Ein Nein kommt einigen nur schwer über die Lippen. Weshalb ist das so und wie lernt man, in der richtigen Situation Nein zu sagen?
Einen Gefallen oder ein Angebot ausschlagen – vielen fällt das schwer, weiß Autorin Annette Lies. Deshalb hat sie Techniken, Tipps und Tricks entwickelt, wie einem das Wörtchen Nein leichter über die Lippen kommt. Außerdem erklärt Lies, woran man merkt, dass ein Nein angebrachter ist als ein Ja. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news gibt die Autorin von „Nein ist meine Superkraft“ (mvg) einen Einblick.
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Wieso hören und sagen wir ein Nein nicht gerne?
Annette Lies: Ein Nein wird oftmals unterschätzt, denn es hat eine ganz große Kraft, vor allem in der Summe. Ein Nein entlarvt einen Interessenkonflikt. Wir neigen dazu, uns mit anderen Menschen gut zu stellen, zu solidarisieren, und sagen deshalb lieber Ja. Wir erhoffen uns davon Akzeptanz in der Gesellschaft. Ein Nein beinhaltet, dass jemand etwas von mir möchte, aber ich möchte das nicht. Das ist erst einmal eine unangenehme, da trennende, Situation.
Oft sind es die kleinen Dinge, bei denen wir schnell Ja sagen. Zum Beispiel, wenn ich einer Freundin etwas leihe, das ich eigentlich lieber behalten hätte. Aber auch im Job sagen wir oftmals nicht Nein, obwohl wir zum Beispiel gerade keine zeitlichen Kapazitäten für ein weiteres Projekt haben. Es geht vor allem darum, sich selbst klar zu werden: Möchte ich gerade wirklich Ja sagen?
Ich möchte Menschen dazu ermutigen, jedes Nein, das sie spüren, nach außen zu tragen. Das hat sehr viel mit Eigenverantwortung zu tun. Wir sollten lernen, unsere eigenen Grenzen zu erkennen und zu ziehen. Das ist aber ein Prozess und bedarf Übung. Die Kunst beim Neinsagen ist es, die Gefühle anderer Menschen auszuhalten, wenn man einer Bitte nicht nachkommt.
Das schlechte Gewissen nach einem Nein kann einem zu schaffen machen. Wie sollte man damit umgehen und wie kann man es vielleicht sogar loswerden?
Lies: Ich betrachte das schlechte Gewissen nach einem Nein als Erfolg, denn schließlich hat man schon mal Nein gesagt. Wem es danach schlecht geht, der sollte reflektieren, weshalb er sich für eine Absage entschieden hat. Außerdem hilft die Frage: Was hat mein Nein für Konsequenzen für den anderen? Dann wird man gelegentlich feststellen, dass diese weniger dramatisch sind als das Ja für uns selbst.
Wichtig ist auch, sich klarzumachen, dass ein Nein nichts mit Egoismus zu tun hat, sondern mit unserem seelischen Immunsystem. Es ist das gute Recht eines jeden, Nein zu sagen! Wer in ähnlichen Situationen schon einmal Ja statt Nein gesagt hat, weiß, was auf ihn zugekommen wäre. Auch Übung mindert das schlechte Gewissen mit der Zeit.
Wie lernt man, Nein zu sagen?
Lies: Ein altbekanntes Mittel, um sich seine Ziele und Erfolge vor Augen zu führen, ist Tagebuch schreiben. Beim sogenannten Journaling kann man protokollieren, wann man es geschafft hat, Nein zu sagen. Auch indirekte Neins sollten berücksichtigt werden. Wer zum Beispiel einer Online-Werbung nicht auf den Leim geht und trotz Interesse nicht auf eine bestimmte Seite klickt, hat passiv Nein gesagt.
Ein weiterer Tipp: Meditation. Dabei kann man sich etwa Situationen in den Sinn rufen, in denen man gerne verneint hätte und diese im Vor- oder Nachhinein nochmal durchspielen. Ich selbst habe viel mithilfe einer Pinnwand erreicht, einem sogenannten Vision-Board. Dabei habe ich mich gefragt: Wie sähe mein Leben aus, wenn ich zu bestimmten Dingen Nein sage? Bin ich dann noch in derselben Beziehung oder in meinem jetzigen Job? Man sollte sich Gedankenspiele erlauben.
Wer das Neinsagen üben möchte, kann das mithilfe von Sätzen machen, die man sich schon einmal für bestimmte Situationen bereitlegt. Auch kleine Botschaften, die man sich auf Zettelchen schreibt, können hilfreich sein. Darauf könnte etwa stehen: Ich habe jederzeit das Recht, Nein zu sagen. Ein toller Satz, mit dem ich gestartet bin, ist: Ab sofort bin ich der wichtigste Mensch in meinem Leben. Da ist es optimal, sich von kleinen zu großen Neins heraufzuarbeiten, beispielsweise indem man beginnt, nicht jede Mitgliedschaft oder Rabattaktion, die einem aufgeschwatzt wird, anzunehmen. Oder wenn man etwas vorgesetzt bekommt, das man nicht bestellt hat, das anzusprechen anstatt sich zu denken: „Na ja, nicht so schlimm“.
Wie sollte man ein Nein vermitteln?
Lies: Wichtig ist es, Ich-Botschaften zu senden. Wenn zum Beispiel ein Kollege oder eine Kollegin um Hilfe bei einem Projekt bittet, ist es besser zu sagen „Ich kann dem leider nicht gerecht werden“ anstelle von „Du forderst zu viel von mir“. Wer nicht direkt Nein sagen möchte, kann auch erst einmal „Ich überlege es mir“ sagen – und später nach der nötigen Bedenkzeit zu- oder absagen.
Zudem hilft es, zunächst das Anliegen des anderen aufzugreifen. Nehmen wir als Beispiel einen Nachbarn, der Sie bittet, auf seine Katze aufzupassen. Der erste Satz könnte dann sein „Ich verstehe, dass du jemanden brauchst, der auf deine Katze aufpasst“. Dann geht es weiter mit: „Ich wünschte, ich hätte dafür Kapazität.“ Im Idealfall folgt noch ein Vorschlag: „Meine Schwester hat ihre Katze letztens in eine Katzenpension gegeben. Wenn du möchtest, frage ich sie mal, ob sie dir den Kontakt geben kann?“
Wie verändert sich das Leben, wenn man in Situationen, in denen man es möchte, Nein sagt?
Lies: Wir positionieren uns authentischer in der Welt, identifizieren uns mehr mit unserem Leben und verleihen unserem Ja mehr Gewicht. Viele Stressfaktoren fallen weg, seitdem ich nur bei Dingen Ja sage, die ich auch wirklich machen möchte. Ich setze meine Prioritäten anders. Meine Neins basieren auf meinen Werten. Ich mache nur noch Sachen, zu denen meine Seele bewusst Ja sagt.
Ein gesundes Nein ist ein großer Baustein im Alltag, das auch hilft, Depressionen, Burnout und Wut vorzubeugen. Im Endeffekt bleibt man sich selbst treu und belügt seine Mitmenschen und sich selbst nicht, wenn man auf sein Gefühl hört und Nein sagt. Die Lebensqualität steigt auf jeden Fall. Denn jedes Nein ist ein Ja zu mir.