Trendforscher Daniel Anthes im InterviewWie wandelnde Lebensstile unser Essverhalten verändern

Speaker, Autor und Trendforscher Daniel Anthes. (obr/spot)
Speaker, Autor und Trendforscher Daniel Anthes. (obr/spot)

Anthes

SpotOn NewsSpotOn News | 01.08.2024, 09:01 Uhr

Essen wir mehr Snacks als Mahlzeiten? "Wandelnde Lebensstile verändern unsere traditionellen Esskulturen", erklärt Daniel Anthes, Trendforscher für Food-Themen. "Wir kommunizieren, arbeiten und leben zunehmend von unterwegs." Das spiegle sich auch in der Ernährung wider.

Frühstück, Mittag- und Abendessen – die traditionellen Mahlzeiten haben offenbar ausgedient: "Sie sind nicht mehr das Maß aller Dinge", erklärt Daniel Anthes. Der 37-Jährige ist Trendforscher mit besonderer Leidenschaft für Food-Themen und analysiert im Interview die "State of Snacking"-Studie von Mondelēz International.

In Kooperation mit dem Umfrageinstitut The Harris Poll erforschte das Unternehmen bereits zum fünften Mal in Folge die neuesten Trends im Bereich Snacking. Demnach suchen deutsche Konsumentinnen und Konsumenten im Vergleich zum Vorjahr deutlich häufiger nach portionsgerechten Zwischenmahlzeiten. Woher dieser Trend kommt und welche zentralen Themen die Ernährung in Zukunft beeinflussen werden, erläutert Anthes.

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Snacks und Zwischenmahlzeiten werden im Alltag der Menschen immer wichtiger werden. Woran könnte das liegen?

Daniel Anthes: Das liegt an den sich grundlegend wandelnden Lebensstilen, die damit auch immer häufiger unsere traditionellen Esskulturen verändern. So sind es heute nicht mehr die Essenszeiten, die unseren Alltag strukturieren, sondern beispielsweise die Arbeit, Hobbys, Reisen oder Kontaktpflege. Vor allem der Megatrend Konnektivität, also die fortschreitende Vernetzung unserer Gesellschaft, in Verbindung mit Mobilität – Unterwegs- bzw. 24/7-Kultur -, New Work mit flexibleren Arbeitsmodellen und Individualisierung führt dazu, dass wir zunehmend von unterwegs kommunizieren, arbeiten und leben. Und damit ändert sich auch unser Essverhalten, also was, wann, wie und wo wir essen. Kaum verwunderlich also, dass laut der "State of Snacking"-Studie mittlerweile fast 9 von 10 Deutschen täglich snacken, um zwischendurch Energie zu tanken.

Was sind hier die aktuellen Trends und wie haben sie sich in den letzten Jahren entwickelt?

Anthes: Die Snacking-Welt ist aufgrund der modernen Lebensstile zum Trend-Epizentrum der Food-Branche geworden: Der Wandel ist hier besonders offensichtlich, vielseitig und disruptiv. Die progressiven Avantgardistinnen und Avantgardisten mit ihren vernetzten, mobilen und individualisierten Lebensstilen geben den Takt der Veränderung vor. Und hier sind es in erster Linie die Megatrends Gesundheit und Nachhaltigkeit, die unsere Snacks inhaltlich "upgraden" und zu Zwischenmahlzeiten werden lassen. Denn laut Studie geht es uns zunehmend auch um die eigene Gesundheit sowie die des Planeten. Früher standen Genuss und besondere Anlässe im Vordergrund, heute zählen Frische, Natürlichkeit, Selbstoptimierung und Verantwortung. Heute geht es stärker um eine ideale Verbindung von Ernährung, Optimierung und Genuss.

Also ernähren wir uns heute bewusster als noch vor ein paar Jahren? Was ist der Grund dafür?

Anthes: Konsumentinnen und Konsumenten von heute werden Prosumentinnen und Prosumenten: Sie wollen und können sich zunehmend über die Herkunft, Herstellung und Auswirkungen ihres Essens informieren. Das Wissen über gesündere und nachhaltigere Lebensmittel führt zu einem ausgeprägten Ernährungsbewusstsein. Natürlich ist aber auch hier der Kontext entscheidend. In Zeiten von Krisen wie Corona, Krieg und Klimawandel gewinnen Werte wie Gesundheit und Achtsamkeit an Bedeutung – und Menschen orientieren sich neu.

Frühstück, Mittag- und Abendessen – haben die traditionellen Mahlzeiten ausgedient?

Anthes: Ja, sie sind nicht mehr das Maß aller Dinge. Unsere traditionelle, stark fixierte Esskultur, bestehend aus Frühstück, Mittag- und Abendessen, im Voraus geplant und mit klarer Abgrenzung zwischen Alltags- und Sonntagsessen, befindet sich im Übergang zu einer modernen, viel weniger starren Esskultur. Diese zeichnet sich durch eine nicht primär an Zeiten gebundene Abfolge diverser Snacks und Zwischenmahlzeiten aus. Damit einher geht auch eine Verschiebung vom Mittagessen als wichtigster Mahlzeit des Tages in Richtung Abend. Und das Essen über den Tag wird infolge einer größeren Auswahl an individuellen Lösungen, z. B. vegan, vegetarisch, aber auch Take-away, Lieferdienste oder Kochboxen nicht nur vielseitiger, sondern deutlich spontaner und situativer. Das zeigt auch die aktuelle Studie von Mondelēz International: Schon mehr als die Hälfte der Menschen bevorzugt mehrere kleine, über den Tag verteilte Mahlzeiten anstelle weniger großer.

Welche weiteren Trends lassen sich aus Ihrer Sicht aktuell beim Thema Ernährung beobachten? Was ist aktuell der stärkste Trend?

Anthes: Viele Food-Trends orientieren sich an der Planetary Health Diet, die eine gesunde, nachhaltige und genussvolle Ernährung angesichts globaler Herausforderungen anstrebt. Es geht um eine grundlegende Veränderung, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren. Wir sollten unser Ernährungssystem ökologischer gestalten, Lebensmittelverschwendung vermeiden und weniger Fleisch essen. Deshalb hören wir momentan auch so viel von Circular Food, das Lebensmittelüberschüsse auffängt und Produktionsreste zu neuen Produkten verarbeitet, wie Müsli aus Brotresten oder Fruchtpapier aus B-Ware-Obst. Der Plant-Based-Trend bleibt ebenfalls stark, da verbesserte Rezepte mehr Menschen pflanzliche Produkte ausprobieren lassen.

Worauf können, sollen oder müssen wir bei unserer Ernährung achten, um bewusster und nachhaltiger zu konsumieren?

Anthes: Eine bewusste, nachhaltige und zukunftsfähige Ernährung sieht drei zentrale Themen vor: Genuss, Wertschätzung und Gesundheit. Ohne Genuss wird es schwierig, Menschen in ihrer Ernährung zu erreichen und für Neues zu begeistern. Neben Funktionalität geht es hier also auch um Emotionalität, das heißt es muss nicht nur satt machen, sondern auch schmecken. Ferner müssen wir wieder lernen, Lebensmittel wertzuschätzen, indem wir die Distanz zwischen uns und unserem Essen verkürzen. Ein gesteigertes Bewusstsein führt dazu, dass wir schließlich das Thema Fleisch ganz neu denken und hier deutlich achtsamer, pflanzenbasierter konsumieren werden.