Interview mit Bestatterin„Wir haben den Umgang mit Toten verlernt“
Aufgrund der Corona-Pandemie dürfen Beerdigungen nur in einem kleinen Rahmen stattfinden. Wie Angehörige oder Freunde auch ohne Trauerfeier Abschied nehmen können, erklärt Bestatterin Christine Kempkes.
Die Corona-Pandemie hat sich auch auf das Abschiednehmen von Verstorbenen ausgewirkt, bei Beerdigungen konnten oder können oft nur wenige Menschen zusammenkommen. „Aus meiner Sicht ist es besonders die körperliche Nähe, die den Trauernden fehlt“, sagt Bestatterin und Trauerbegleiterin Christine Kempkes. Wie man mit dem Tod eines geliebten Menschen Frieden schließen kann, erklärt die Autorin des Buches „Mit der Trauer leben lernen – Impulse für eine neue innere Balance“ (Junfermann Verlag) im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
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In der Corona-Pandemie konnten und können Beerdigungen nicht wie gewohnt stattfinden. Wie hat sich das ausgewirkt?
Christine Kempkes: Aus meiner Sicht ist es besonders die körperliche Nähe, die den Trauernden fehlt. Wenn in der Kapelle 15 Stühle mit riesigem Abstand stehen, sitzt jeder mit seinem Schmerz ganz für sich. Als Bestatterin rücke ich dann zumindest die Stühle für Personen aus einem Haushalt zusammen. Es tut einfach gut, die Hand zu halten und den Arm zu spüren. Eine andere Form von Nähe kann zum Beispiel auch durch Rituale wie das gemeinsame Anzünden von Kerzen während der Trauerfeier entstehen.
Was kann man tun, wenn man sich nicht am Grab verabschieden kann?
Kempkes: Zuerst einmal: Viele Beerdigungen hätten auch ohne Corona im kleinen Kreis stattgefunden. So haben alte Menschen häufig ein sehr kleines soziales Umfeld. Daher sind diese von der Begrenzung der zugelassenen Personenzahl nicht betroffen. Wenn nun tatsächlich Menschen aufgrund der aktuellen Regeln nicht an der Beisetzung teilnehmen dürfen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Sie könnten zum Beispiel während der Beisetzung bei sich zuhause eine Kerze anzünden und sich so mit der Trauergemeinde verbinden.
Ich habe auch erlebt, dass bei der Beerdigung eine große Vase mit Blumen am Grab stehengeblieben ist und weitere Trauergäste eingeladen wurden, am gleichen oder am nächsten Tag das Grab zu besuchen und eine dieser Blumen dort abzulegen. Angehörige können in der Trauerfeier Samentütchen mit den Lieblingsblumen der verstorbenen Person verteilen und diese anschließend an die Menschen verschicken, die nicht live dabei sein konnten. Manche Bestattungsunternehmen übertragen Trauerfeiern im Live-Stream oder nehmen sie als Video auf.
Aufgrund der Pandemie konnten oder können Menschen oft nicht ins Krankenhaus, um im Augenblick des Todes bei ihren Angehörigen zu sein. Manche fühlen sich deshalb schuldig. Was raten Sie diesen Menschen?
Kempkes: Durch diese fehlenden Abschiede schieben wir einen großen Berg an zusätzlicher Trauer vor uns her. Wenn ein sterbender Angehöriger gerade im Krankenhaus oder in einer Pflegeeinrichtung ist, sollte man mit Nachdruck auf eine Besuchsmöglichkeit bestehen. Die Erfahrung zeigt, dass dann oft Ausnahmen vom Besuchsverbot gemacht werden. Ein Vorteil der Digitalisierung: Menschen können übers Handy oder per Video-Call dazugeschaltet werden. Der Hörsinn ist der letzte, der geht. Wir können deshalb davon ausgehen, dass Sterbende mitbekommen, wenn Menschen über das laut gestellte Telefon mit ihnen sprechen. Wie tröstlich, wenn sie dann hören: „Ich hab dich lieb“ oder „Danke für alles, was wir gemeinsam erleben durften“.
Gab es diese Möglichkeit nicht, ist das Abschiednehmen am offenen Sarg umso wichtiger. Wir haben den Umgang mit Toten verlernt. Es macht uns Angst, einen Verstorbenen zu sehen oder gar anzufassen. Doch das ist wichtig, um im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen, was geschehen ist. Es ist ein entscheidendes Puzzlestück zwischen dem Moment, in dem wir den Menschen zuletzt lebend gesehen haben und dem Moment, in dem der Sarg oder die Urne in die Erde gelassen wird.
Und wenn man weder am Sarg noch am Sterbebett auf Wiedersehen sagen konnte?
Kempkes: Hat weder der Abschied am Sterbebett noch am offenen Sarg stattgefunden, gilt es, auch mit dieser Situation Frieden zu schließen. Man sollte sich für getroffene Entscheidungen nicht verurteilen oder sich für äußere Rahmenbedingungen verantwortlich fühlen. Dem schlechten Gewissen, den sterbenden Angehörigen allein gelassen zu haben, möchte ich die Erfahrung von Menschen mit einer Nahtoderfahrung zur Seite stellen: Sie berichten, dass wir im Sterben nicht allein sind. Diejenigen, die uns vorausgegangen sind, erwarten uns auf der anderen Seite und reichen uns die Hand.
Kann ein fehlender Abschied nicht jahrelange, psychische Folgen haben oder gar für eine Art Trauma sorgen?
Kempkes: Ich möchte nicht ausschließen, dass die derzeitigen Umstände im Einzelfall schwerwiegende Folgen bis hin zu einer Traumatisierung haben können. Wer nach einer Verlusterfahrung das Gefühl hat, den Anschluss ans Leben zu verlieren, der sollte sich professionelle Hilfe in einer Trauergruppe oder durch Einzel-Trauerbegleitung holen. Das ist kein Eingeständnis von Schwäche, sondern zeugt von Stärke, Verantwortung für sich selbst und das eigene Leben zu übernehmen.
Wie können Betroffene mit dem Tod der Person abschließen?
Kempkes: Es geht auf einem heilsamen Trauerweg nicht so sehr darum, mit dem Tod abzuschließen. Vielmehr gilt es, den Tod und die Trauer ins Leben zu integrieren. Trauer ist das notwendige Gefühl, um einen Verlust zu verarbeiten. Sie darf da sein und sie möchte gefühlt werden. Je mehr wir das akzeptieren und uns nicht gegen den Verlust und die Trauer auflehnen, desto leichter kann innerer Frieden einkehren.