Neuer TV-Film "Du sollst hören"Benjamin Piwko: Warum auch Hörende von der Gebärdensprache profitieren
Benjamin Piwko spielt im TV-Film "Du sollst hören" einen gehörlosen Familienvater. Im Interview erzählt er von den Dreharbeiten - und macht Lust auf Gebärdensprache.
Im Film „Du sollst hören“ (19.9., 20:15 Uhr, ZDF) spielt der gehörlose Schauspieler Benjamin Piwko (42) einen Familienvater, der vor einer schweren Entscheidung steht:
Die zweijährige Mila Ebert (Delia Pfeffer) ist gehörlos. Bei einer Untersuchung im Krankenhaus wird festgestellt, dass ihr Hörnerv aber ausgebildet ist. Mit dem Einsetzen eines Cochlea-Implantats (Hörprothese) und entsprechender Förderung hätte sie die Chance auf ein „normales“ Leben. Doch Milas ebenfalls gehörlose Eltern – Simon und Conny Ebert (Anne Zander, geb. 1988) – lehnen eine Operation ab. Sie empfinden Milas fehlendes Hörvermögen nicht als Krankheit oder Behinderung. Das Krankenhaus schaltet daraufhin das Jugendamt ein, der Fall kommt vor Gericht. Richterin Jolanda Helbig (Claudia Michelsen, 53) muss nun entscheiden, ob Mila ein Recht zu hören hat …
Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erklärt Benjamin Piwko, welche Reaktion er sich von den Zuschauerinnen und Zuschauern auf den Film wünschen würde. Außerdem erzählt er von den Dreharbeiten, bei denen gehörlose und hörende Filmschaffende zusammengearbeitet haben.
Was war Ihre erste Reaktion, als Sie von dem Film erfahren haben? Und welche Reaktionen würden Sie sich von den Zuschauerinnen und Zuschauern wünschen?
Benjamin Piwko: Man ist schon vor ein paar Jahren mit dieser Idee zu dem Drehbuch auf mich zugekommen. Ich habe mich sehr gefreut, dass dieses Thema verfilmt wird. Vom Fernsehpublikum würde ich mir das Auseinandersetzen mit dem Thema Gehörlosigkeit wünschen. Denn wir sind viele. Und es wichtig, sich dem zu öffnen.
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Im Film wird die Frage gestellt, ob es an der Zeit wäre, statt gehörlos taub zu sagen. Was halten Sie davon?
Piwko: Für mich spielt es erstmal keine Rolle, ob es gehörlos oder taub heißt. Dass wir uns mit den Dingen wie Zugang zu Informationen, Untertitel und Anderssein auseinandersetzen, finde ich viel wichtiger.
Gebärdensprache ist seit 2002 eine offiziell anerkannte Sprache. Sollte diese Sprache mehr in der Öffentlichkeit stattfinden?
Piwko: Die Gebärdensprache ist die älteste Sprache der Welt. Alle Völker haben in Gebärden kommuniziert, bevor es das erste Wort gab. Das sollte nicht vergessen werden. Gebärdensprache ist eine wunderschöne Sprache, die auch Kinder gerne benutzen. Sie fördert und macht den Geist frei. Gerade in dieser lauten Welt, könnten auch Hörende davon profitieren. Denn man kann damit in sehr lauter Umgebung kommunizieren und auch auf Entfernung. In vielen Ländern ist es schon eine Selbstverständlichkeit und wird von vielen auch hörenden Menschen angewandt.
Die Produktion hätte auch hörende Schauspieler für die Rollen der Gehörlosen besetzen können. Hat sie aber nicht. Was halten Sie davon?
Piwko: Jeder Schauspieler muss in der Lage sein, alles spielen zu können und zu dürfen. In dem Fall bin ich aber glücklich, dass Anne und ich es gespielt haben. Gebärdensprache ist unsere Muttersprache. Sie ist in unserem Blut.
Wie darf man sich die Arbeit am Set vorstellen? Hatten Sie immer Dolmetscher dabei? Oder wurden die einzelnen Szenen besonders gründlich vorbereitet?
Piwko: Wir hatten Dolmetscher und haben viel vorbereitet und erprobt. Ich komme aber auch gut ohne Dolmetscher klar am Set. Ich lese Lippen ab und kann gut selbständig arbeiten. Generell stelle ich ein immer größeres Interesse an der Gebärdensprache fest. Das freut mich sehr und verbindet, egal ob es ein „Guten Morgen“ ist oder ein „Guten Appetit“.
Der Film zeigt einige nicht ganz unkomplizierte Alltagssituationen oder Momente, in denen die hörende Schwester Ihrer Filmehefrau helfen muss. Gibt es auch bei Ihnen solche Situationen? Und wenn ja, fällt es Ihnen schwer, um Hilfe zu bitten?
Piwko: Ich habe früh gelernt, selbstständig zu sein. Natürlich gibt es Situationen, in denen ich Hilfe benötige. Telefonieren kann ich zum Beispiel nicht. Wenn es um solche Dinge geht, benötige ich ein Ohr, das mir hilft, schnell zu kommunizieren. Ich versuche, so viel wie möglich selbst zu machen, aber manchmal geht es eben nicht so einfach.
Viele Menschen haben Angst, etwas falsch zu machen, wenn sie einen Menschen mit einem Handicap – oder einer „Superpower“, wie Sie es nennen – treffen. Was können Sie diesen mit auf den Weg geben?
Piwko: Ich empfehle, keine Angst zu haben. Einfach so unbefangen sein, wie Kinder es sind. Wir erziehen den Kindern schon früh ab, auf Menschen offen zuzugehen und Fragen zu stellen. Es heißt dann „komm her, frag nicht, schau nicht hin“. Ich empfehle das Gegenteil: Lasst uns diese Hürden wieder abbauen.
Im Film geht es unter anderem um die Frage, ob einem kleinen Mädchen ein Cochlea-Implantat eingesetzt werden soll oder nicht. Was denken Sie über diese Technik?
Piwko: Sie birgt wie jede Technik, die operativ passiert, Risiken. Von daher ist diese Frage sehr schwer zu beantworten. Mir wurde mit zwölf Jahren die Entscheidung überlassen, ob ich ein CI haben möchte oder nicht. Ich habe mich dagegen entschieden. Diese Entscheidung sollte jeder Mensch für sich alleine treffen dürfen.
Sie haben auch schon im „Tatort“ mitgespielt. Auch damals ging es unter anderem um CI. Welches andere Thema ist denn ähnlich polarisierend unter Gehörlosen und würde sich vielleicht auch mal für einen Film oder eine Serie eignen?
Piwko: Darüber müsste man sich mal mit Gehörlosen unterhalten und ins Gespräch gehen. Es gibt sehr viele Themen, die uns beschäftigen, zu viel, um sie hier aufzuzählen. Aber es ist an der Zeit, dies Mal herauszufinden und vielleicht auch filmisch umzusetzen.