Beck in unserem Interview: „Für ‚Loser’ habe ich mich lange Zeit geschämt!“
Mit dreieinhalb Stunden Verspätung trifft Beck Hansen (49) zum Interview in einem Londoner Nobelhotel ein. Sein Flug hatte Verspätung. Statt italienischer Mode trägt der siebenfache Grammy-Gewinner einen schwarzen Cowboyhut zur Baseballjacke.
„Hyperspace“ heißt sein 14. Studioalbum, auf dem der Sänger und Multiinstrumentalist einen atmosphärischen Klangteppich präsentiert, der nicht mehr ganz so rumpelig und kratzig daherkommt wie früher. Über Scientology will er nicht befragt werden, sagte aber unlängst in einem Interview, dass er mit der kritisch beäugten Religion nichts (mehr) am Hut habe. Beim klatsch-tratsch.de-Gespräch mit Katja Schwemmers erzählt Beck von seinem „Loser“-Trauma, der Zusammenarbeit mit Pharrell Williams fürs neue Album und seiner Zeit als Heranwachsender in Köln.
Mr. Hansen, wo kommen Sie gerade her?
Ich war bei einem Gucci-Event in Mailand mit Iggy Pop. Manchmal lohnt es sich, ein bekannter Musiker zu sein. Dann gibt es Tage, wo du einfach nur 14 Stunden lang im Studio abhängst und keine Freunde hast. Ich hab jetzt jedenfalls ein paar schöne Dinge mehr im Koffer, die aber vermutlich zu unpraktisch sind, um sie auf der Bühne zu tragen. Doch ich werde Möglichkeiten finden, mich darin zu zeigen.
Sie haben sich schon Anfang der Neunziger auf der Bühne inszeniert, als andere Musiker im karierten Baumwollhemd rumliefen.
Ja, ich kam im Anzug, sah aus wie ein Schiffskapitän oder „Rhinestone Cowboy“. Ich hatte Freude daran! Ich war immer ein großer Bewunderer von Prince, Bowie, T. Rex und Sly Stone. Sie spielten mit ihrem Image und der Idee, Teil einer Zirkusaufführung zu sein. Ihre Musik war trotzdem brillant oder beseelt. Warum sollte auch alles todernst sein im Pop? Das Problem für mich war nur, dass Leute oftmals annahmen, ich wäre ironisch oder unaufrichtig. Es war also immer eine Gratwanderung: Wie bewahrst du dir die Wahrhaftigkeit, während du mit Kostümen und Bildern flirtest?
Heutzutage ist letzterer Aspekt bei männlichen Musikern total verschwunden.
Stimmt! Wenn man an Mick Jagger, Queen und Elton John denkt, waren die immer auch kreativ auf diese Art. Vielleicht kommt das irgendwann zurück. Wir leben in Zeiten, wo sich die Zuschauer mit der Person auf der Bühne identifizieren und sich wohlfühlen wollen. Es schreckt sie ab, wenn da jemand zu verrückt aussieht. Das spielt wohl auch damit rein, warum Männer auf der Bühne heute aussehen wie sie aussehen.
Im deutschsprachigen Raum haben Sie sich in der letzten Dekade recht rar gemacht. Wieso eigentlich?
Ich hatte mich Mitte der 2000er bei einem Videodreh an der Wirbelsäule verletzt. Mir verursachte selbst das Halten der Gitarre Schmerzen. Ich brauchte lange, um mich davon zu erholen. Aber wenn ich an Deutschland denke, werde ich immer sentimental. Mein Großvater hat dort die letzten 15 Jahre seines Lebens verbracht.
Er lebte in Köln, oder?
Genau. Als ich 16 war, sparte ich auf das günstigste Flugticket. Ich blieb eine ganze Weile, es war mein erstes Mal Europa. Mein Opa war Avantgarde-Künstler. In Amerika fand er kaum Beachtung, aber in Deutschland war er akzeptiert und wurde verehrt. Das bedeutete mir die Welt! Und es öffnete mir die Augen: Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, an einem Ort zu sein, wo Künstler einen Platz in der Gesellschaft haben.
Sprechen Sie Deutsch?
Das tat ich! Ein bisschen zumindest. Aber es ist alles weg. Am Ende von „Loser“ frage ich „Sprechen Sie Deutsch?“. Denn in den Jahren danach ploppten in meinem Kopf immer wieder deutsche Sätze auf, mit denen ich improvisierte. Ich habe auch mal ein Theaterstück auf Deutsch geschrieben.
Im Ernst?
Ja, mit 16. Ich bekam ein Buch mit Redewendungen für Touristen. In Köln besaß ich eine deutsche Schreibmaschine. Ich schrieb ein komplettes Stück, in dem die Charaktere sich ausschließlich in den Phrasen aus dem Phrasenbuch unterhielten.
Und das funktionierte?
Nun ja, es war natürlich komplett absurd. Das ging ungefähr so: „Wo ist der Hauptbahnhof?“ Und die andere Person sagt: „Ich möchte gerne Käse bestellen.“ Und der dritte Typ findet: „Das Wetter ist sonnig.“ Und jemand antwortet: „Ich muss wirklich meine Schuhe reparieren lassen.“ Aber egal: Ich habe ein Theaterstück auf Deutsch geschrieben! Ich weiß gar nicht, wo ich das Script hingepackt habe…
Sie sollen in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen sein.
Es gab zehn Jahre, wo unsere Familie total mittellos war und es gerade so zum Überleben reichte. Meinem Großvater in Deutschland ging es nicht viel besser: Er hielt sich mit dem Reparieren von Fahrrädern über Wasser. Das Ein-Zimmer-Apartment, in dem ich mit ihm wohnte, hatte nicht mal eine eigene Küche. Das Klo war draußen vor der Tür.
Und das hat Sie nicht davon abgehalten, Ihren Eltern und Ihrem Großvater in den Künstlerberuf zu folgen?
Ich habe nie angenommen, dass Geld Teil meines Weges sein würde. Ich denke, es wäre okay für mich gewesen, wenn ich mein Leben lang arm geblieben wäre. Ich weiß, dass so viele Menschen in der Welt überhaupt keine wirtschaftlichen Optionen haben. Ich kenne das Gefühl. Aber mir war immer bewusst, dass man sich durch Kreativität sehr reich fühlen kann. Reichtum kommt von innen.
Wie sind Sie damit klargekommen, als 1993 mit „Loser“ der große Durchbruch kam?
Das war schwierig. Wenn man heutzutage einen fetten Nummer-Eins-Hit hat, lassen alle die Champagner-Korken knallen, und sie filmen für die Social-Media-Kanäle, wie sie Tränen vergießen und sich umarmen. Als das mit mir passierte, musste ich mir Dinge anhören wie: „Du bist ein Verräter. Du stehst für Ausverkauf.“ Es war verpönt, Erfolg zu haben. Die populäre Musik wurde eh als etwas Billiges und nicht Künstlerisches gesehen. Auch Pearl Jam und Nirvana setzte die Kritik zu, daran erinnere ich mich als ihr Fan. Mein Problem war also nicht, mit dem Erfolg klarzukommen, sondern den Reaktionen darauf: die Verurteilung und der Neid.
Mit welchen Konsequenzen?
Lange Zeit fühlte ich mich beschämt. Es brauchte Jahre, bis ich realisierte, was für eine wundervolle Sache „Loser“ war und ich den Song feiern konnte, den die Menschen liebten. Mit 40 konnte ich mir dann endlich sagen: Vielleicht hatte ich ein paar gute Ideen, als ich „Loser“ gemacht habe. Ich gehe zurück zu der Person, die ich damals war. Daraus erwuchs 2017 die Platte „Colors“, wo ich unverfroren Melodien feierte und alles, was eingängig ist. Denn viele Jahre hatte ich das Gefühl, dass ich all das wegradieren müsste.
Damals hätten Sie wohl nicht mit „Happy“-Hitschreiber Pharrell Williams zusammengearbeitet, der an sieben Stücken Ihres neuen Albums mitwerkelte.
Pharrell ist sehr spontan und entschlussfreudig. Das tat mir gut. Denn ich wurde im Laufe meiner Karriere verkopfter, brütete lange über Ideen, probierte immer verschiedene Dinge aus. Ich lernte wieder, mir selbst zu trauen. Und nun hat diese Platte diese außerweltliche Stimmung, ist introspektiv, dabei sehr modern. Ich habe Platten gemacht, die viel nostalgischer anmuteten.
Das Album beginnt mit dem Stück „Hyperlife“. Leben Sie solch ein Leben?
Ich vermute, das tun die meisten von uns! „Hyperlife“ bezeichnet den Moment, wenn alles auf einmal passiert. Es dockt ein bisschen an die Themen der letzten Arcade-Fire-Platte an: Alle Jahrzehnte der Mode und Musik sind derzeit populär. Als ich jünger war, gab es noch Regeln: Was ist cool – was ist nicht cool? Man konnte noch mit diesen Regeln brechen. Aber die gibt es nicht mehr. Du kannst im Prinzip machen, was du willst.
Bedeutet das, es gibt in der Musik nun keine Grenzen mehr für Sie auszuloten?
Oh doch, ich habe einiges an sehr merkwürdiger Musik parat, die ich noch nicht veröffentlicht habe. Damit würde ich viele Fans verlieren. Aber mir gefällt sie.
Sie setzen sich auf der Platte mit dem Thema Technologie auseinander.
Sie definiert unsere Leben. Ist es nicht interessant, dass wir auf dem Zenit der Technologie sind und der Entwicklung unserer modernen Welt mit endlosen Möglichkeiten, aber dass genau das uns letztendlich zurückführt zu unserem grundlegenden Bedürfnis nach echter menschlicher Verbindung?
Der Mensch als Gesellschaftstier.
Das ist die eigentliche Botschaft der Platte! Nur in Gesellschaft fühlen wir uns ganz. Das mit der Technologie hat aber noch eine andere Ebene: Heutzutage gibt es überall Kameras und all diese Fotos von mir. Ich sehe mich kontinuierlich selbst. Dann fallen mir an mir oder meinem Auftreten Sachen auf, bei denen ich mich frage: „Habe ich mich verändert oder war ich immer so?“ Es ist, als würde jemand unentwegt einen Spiegel in unsere Gesichter halten, durch den wir dann gezwungen sind, ständig unser Spiegelbild anzustarren.
Was macht das mit uns?
Es macht uns verrückt! Du bekommst ein verzerrtes Bild von dir selbst. Auch deshalb sehnen wir uns nach der Verbindung zu anderen Menschen, denn die können besser als das Internet oder der Spiegel reflektieren, wer wir sind.
Vom Loser zum siebenfachen Grammy-Gewinner. Könnte das der Stoff für einen Biopic sein?
Ich habe definitiv einige Dinge durchgemacht. Mehr als einmal in meinem Leben sah es nicht gut für mich aus. Ich bin sehr glücklich und dankbar dafür, wo ich heute stehe. Ich tendiere dazu, das Glas als halbvoll anzusehen. Bei Künstlern gibt es oftmals einen Punkt, an dem sie anfangen, mit sich zu hadern und denken: Es wäre mehr für mich drin gewesen, ich hätte mehr Erfolg haben können.
Aber an dem Punkt waren Sie nie?
Nein. Ich genieße den Weg, den meine Karriere eingeschlagen hat. Ich bin befreundet mit Chris Martin, der auch im neuen Song „Stratosphere“ zu hören ist. Ich bin viel auf Tour gewesen mit Radiohead. Das sind Künstler, die eine intensive Verbindung zu ihren Fans haben. Ihr Publikum singt jedes Wort von ihnen mit. Und ich denke dann immer: Oh, das ist so wunderschön. Ich würde es lieben, wenn ich so was hätte. Solche ein Gefühl mit einem Publikum. Aber meine Rolle ist nun mal die des Experimentators.
Wie reagieren Ihre Kinder auf Ihre Musik?
Ich habe einen Sohn, der zwölf ist, und eine Tochter, die 15 ist. Beide leben mit mir in Los Angeles und sind stolz auf ihren Vater. Mein Sohn steht nur auf Rapmusik. Er spielt mir Sachen vor, und wir reden drüber. Als ich in seinem Alter war, konnte ich mit moderner Musik nichts anfangen. Ich wäre am liebsten in eine Zeitmaschine ins Jahr 1967 gereist. Aber sie mögen den Moment und keine Nostalgie. Und das hat auch die Platte inspiriert.
Im Juli werden Sie 50. Ist es für einen Musiker einfach, älter zu werden?
Nein, weil Musiker oftmals ihre beste Arbeit in jungen Jahren abliefern. Aber ich spüre, dass ich so was wie ein Spätzünder bin. In meinen 20ern hatte ich den Dreh noch nicht raus. Ich hörte mir phänomenale Alben wie „Kid A“ und „Nevermind“ von sehr jungen Bands an. Für mich hingegen hat es viele Jahre gedauert, an den Platz zu kommen, wo ich mir meinem Handwerk bewusst wurde. Und was das Körperliche angeht: Ich schiele zu Mick Jagger und habe das Gefühl, er ist in besserer Verfassung als ich. Ich muss rauskriegen, wie er das macht. Ich wünschte, da gäbe es ein Trainingscamp, wo man das lernen kann.
Das Album „Hyperspace“ ist bereits zu haben!