Runder Rockstar-GeburtstagJon Bon Jovi wird 60: Der Haarspray-Bruce-Springsteen mit den Edelkitsch-Balladen
Jon Bon Jovi, Gott des Hair Rock der 1980er-Jahre und König der Edelschnulzen der 1990er-Jahre wird 60. Wir gratulieren dem ergrauten Rock-Beau mit einem kritischen Blick auf sein Schaffen.
Ein kurzer Exkurs in die Geschichte. Wir schreiben das Jahr 1983. In den USA regiert Ronald Reagan, der mit seinen Reaganomics den Konzernen des Landes das Leben leicht und der Mittelschicht schwer macht. In der Musikwelt haben indes die voluminösen Männerfrisuren das Sagen. Die Herren der Schöpfung tragen Mähnen, die sogar Tina Turner zu ihren besten Zeiten vor Neid erblassen lassen hätten können. Dazu stellen sie Spandexhosen zur Schau, die Hemden und T-Shirts sind natürlich tiefgeschnitten, die imposante Brustbehaarung will schließlich zur Schau gestellt werden.
Freilich war es auch ein Jahr, in der irrsinnig viel verschiedene Musik passierte. U2 hatten „War“ am Start, die Ramones „Subterranean Jungle“, Lou Reed veröffentlichte „Legendary Hearts“, Eric Clapton „Money and Cigarettes“. Nena veröffentlichte „Nena“, Social Distortion kamen mit „Mommy’s Little Monsters“ — und das sind erst die Veröffentlichungen bis Februar!
Und dann war da Bon Jovi
1983 war auch jenes Jahr, in dem John Francis Bongiovi Jr., damals zarte 21 Jahre alt, die Band Bon Jovi gründet. Zuvor hatte er schon mit Sessionmusikern das Lied „Runaway“ aufgenommen und damit einen Wettbewerb gewonnen. Das war vielversprechend, der junge Bongiovi so richtig hungrig — deswegen musste eine Band her. Mit Richie Sambora an der Gitarre, Tico Torres am Schlagzeug, David Bryan am Keyboard und Alec John Such an der Bassgitarre ging’s ins Studio und auf Tour. Bon Jovi waren geboren — eine der bekanntesten Rockbands überhaupt.
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Der erste Hit der Band war dann auch gleich besagtes Stück „Runaway“, auf dem noch die Originalmusiker der Demoaufnahme zu hören waren. Darunter ein gewisser Roy Bittan, seines Zeichens Keyboarder in Bruce Springsteens E Street Band, der sich bereits mit unsterblichen Alben wie Born To Run ganz nach oben katapultiert hatte und auch Anfang der 1980er phänomenale Alben raushaute (das akustisch-karge „Nebraska“, später „Born In The U.S.A.“).
Das passt auch, denn eigentlich ist Jon Bon Jovi in vielerlei Hinsicht der Haarspray-Bruce-Springsteen. Die beiden eint mehr als die gemeinsame Heimat New Jersey — Jon übernahm von Bruce auch so einiges in Sachen Ästhetik und Pathos. Der US-amerikanische Working-Class-Kerl, der sein Mädchen dazu auffordert, mit ihm zu kommen, ihr verspricht, dass sie es trotz mies bezahlten 9-to-5-Job schaffen werden, irgendwie, irgendwann — den hat John aus Springsteen-Stücken wie dem Jahrhundertsong „Thunder Road“ übernommen und ihn, in noch zugänglicherer, vielleicht auch etwas verwässerter, eindimensionalerer Form dargestellt.
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„Tommy used to work on the docks, union’s been on strike / He’s down on his luck, it’s tough, so tough / Gina works the diner all day working for her man / She brings home her pay, for love“, heißt es in „Living On A Prayer“, ehe im Refrain die Heilsversprechung folgt: Wir müssen an dem festhalten, was wir haben — ganz egal, ob wir’s schlussendlich schaffen, Baby.
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Jon Bon Jovi: Voll auf der (Dauer)Welle des 80er-Rock
Bon Jovi nutzen die 80er-Rock(dauer)welle gekonnt aus und wurden zu Superstars. Sie brachten durchaus gute Alben raus („Slippery When Wet“, „New Jersey“ und andere). Sie füllten Stadien — kein Wunder, mit dem Frontmann. Denn das Jon Bon Jovi nicht nur gut Songs schreiben und singen konnte, sondern auch zweifellos verdammt gut aussah, tat der Karriere auch keinen Abbruch.
Das schwappte bald schon von den USA nach Europa und auf die ganze Welt über — und Jon Bon Jovi wurde zum Posterboy. Rock-Credibility brachte ihm das bei den Kollegen nicht unbedingt ein — Pretty-Boy-Rock ätzten viele — dafür einige Heerscharen an weiblichen Fans, von denen der größte Prozentsatz einem Techtelmechtel mit Jon nicht abgeneigt gewesen wären. Männer gab’s angeblich auch hier und da im Publikum — vielleicht ist das aber auch nur ein Mythos.
Wer denkt, es ginge nicht noch schnulziger, wurde 1994 mit dem Stück „Always“ eines besseren belehrt.
Man konnte das mögen oder nicht — aber bessere, hochwertigere Edelkitsch-Rockballaden als Jon Bon Jovi hatte damals keiner. Vielleicht nur Aerosmith mit „I Don’t Want To Miss A Thing“, der größten Edelkitschballade des späten 20. Jahrhunderts.
Irgendwann ging’s dann auch mal bergab
Danach kam noch ein bisschen was. Jon veröffentlichte ein sehr gutes Soloalbum namens „Destination Anywhere“ — und hatte 2000 mit seiner Band nochmal einen Mega-Hit — „It’s My Life“, musikalischer Dauergast auf jeder ausgelassenen Sangria-Fete.
Danach wurde es nie mehr so richtig gut – im Gegenteil: Bon Jovi verkauften zwar noch Stadien aus, wurden aber immer belangloser. Egal, was die Band anpackte — die alte Chemie (ob man die nun mochte oder nicht) wollte nicht mehr entflammen. Es kamen noch weitere Alben, richtig schlecht waren sie nicht alle, aber keines blieb im Gedächtnis. Wenn Jon eine Edelschnulze schreiben wollte, hatte die maximal nur noch so viel Charme wie eine B-Klasse-Rom-Com mit Jennifer Aniston.
Und auch das Alter spielte dem guten Jon einen Streich — nicht optisch, aber stimmlich. Denn auch wenn er auch mit 60 und mit immer noch voller, aber würdevoll ergrauter Mähne zweifellos fantastisch aussieht: gesanglich ging es bergab. Klar, Stimmen werden mit den Jahren oft tiefer, die hohen Töne (und die gibt’s in seinen Songs zuhauf) werden kniffliger, vor allem wenn die Stimme jahrzehntelang auf Tour gequält wird.
Wer in den 2010er-Jahren ein Bon-Jovi-Konzert besuchte, musste diese Erfahrung oft leidvoll machen. Irgendwann hatte Jon zwar beschlossen, die (mittlerweile ohne Richie Sambora spielende) Band zu beordern, alles tiefer zu spielen. Aber es gibt Versionen im Internet, da liegt Jon so schief, dass es wirklich schon weh tut.
Bon Jovi heute
Mittlerweile scheint Jon Bon Jovi das mit den Tonarten wieder in den Griff bekommen zu haben — stimmlich ist er zwar weit von den großen Tagen entfernt, aber Stadien füllt er immer noch.
Und weil Jon auch abseits der Musik ein guter Typ ist, der sich sozial viel engagiert, wünschen wir dem Rockstar-Beau, dem früheren Haarspray-Bruce-Springsteen, dem Schwiegermuttertraum, heutigen Elder Statesman of Rock und Edelschnulzenbarden alles Gute zum 60. Geburtstag!