KarrierenNino de Angelo im Interview: „Selbst mein Therapeut hat sich betrunken“
Nino de Angelo feiert gerade ein Riesen-Comeback! Bis auf Platz 2 schaffte er es mit seinem neuen Album „Gesegnet und verflucht“, das für seine musikalische Neuerfindung steht.
Soeben erschien die Biografie von Nino de Angelo, die so heißt, wie die Platte. Darin resümiert der 57-Jährige über Erfolge, Süchte, gescheiterte Beziehungen und einen Suizidversuch – aber nie verbittert. Im Interview mit Promi-Reporterin Katja Schwemmers erzählt er von seinen harten Jahren, betrunkenen Therapeuten, seiner Wiederauferstehung und seiner Vision fürs Rentenalter.
Herr de Angelo, Glückwunsch zur Nummer 2 in den Albumcharts. Wie fühlt sich das an, nach 37 Jahren wieder ganz oben zu sein?
Sensationell. In der heutigen Zeit sowieso. Mit dem Studioalbum „Jenseits von Eden“ war ich damals auch auf Platz 2. Es ist Wahnsinn, wie sich der Kreis schließt. Das neue Album ist so gut, es wäre schön, wenn wir noch ein paar Monate in den Top 100 bleiben würden.
Hätten Sie damit gerechnet, dass Ihnen solch ein Erfolg noch mal passiert?
Nach dem letzten Album, das eher ein Misserfolg war, nicht. Ich hatte mich schon damit abgefunden, wollte eigentlich gar kein Album mehr machen. Das Ganze ist durch Chris Harms entstanden, den ich vor anderthalb Jahren zufällig kennengelernt habe. Er kommt aus einem ganz anderen musikalischen Bereich, nämlich dem Dark-Metal, hat selber eine Band. Ich dachte erst, die wollen mich wohl verarschen, das kann ja nicht sein, dass der mit mir eine Platte machen will!
Zurück im uralten Studio
Sie haben sich über Instagram kennengelernt, oder?
Ja, er ist in die Studios eingezogen, in denen ich damals „Jenseits von Eden“ aufgenommen habe – das Chameleon-Studio in Hamburg. Dort hing eine Goldene Schallplatte von mir an der Wand, die wir damals dem Tonmeister Klaus Bohlmann überreicht haben. Und Harms machte daraus einen Post auf Instagram, so nach dem Motto: „Guckt mal, wie lustig: Nino de Angelo hat hier auch aufgenommen – ‚Jenseits von Eden’. Wie toll.“ Ich habe darauf geantwortet, und am nächsten Tag hatte ich ihn an der Strippe. Es ist verrückt, wie sich die Dinge entwickelt haben. Da kann man an Schicksal glauben.
Wie war es, nach so vielen Jahren in das Studio zurückzukehren?
Damals war ich keine 20 und total aufgeregt. Es ist ein Riesen-Studio, dort haben viele Rockbands und internationale Stars aufgenommen. Als ich den Flur entlang ging und die ganzen Goldenen- und Platin-Schallplatten hängen sah, war das für mich ungefähr so wie für andere Leute die Abbey Road Studios in London. Die großen Mischpulte waren schon ziemlich genial. Das Studio hat sich seither gar nicht verändert. Da steht immer noch der Billardtisch, an dem ich damals gespielt habe. Es war wirklich ein tolles Wiedersehen. Chris hatte am Telefon gesagt: „Mensch, komm doch mal in deine alte Wirkungsstätte, wo du deinen größten Hit gemacht hast. Und bring mal zwei, drei Songs mit, und dann schauen wir mal, was wir daraus machen können.“
Und das haben Sie dann getan.
Ja, ich hatte „Gesegnet und verflucht“ mitgebracht. Und knapp zwei Wochen später bekam ich dann das erste Ergebnis. Er hat ein paar Sachen verändert und einen komplett anderen Sound gemacht. Das hat mir gefallen, ich dachte nur: Boah, ich glaub, ich mach doch noch mal ’ne Platte. Dann musste ich zehn Songs schreiben. Dank der Pandemie hatte ich genügend Zeit dazu, mich mit mir selber zu beschäftigen, ganz tief in mich reinzugehen und das alles rauszuholen. So ist der Rest des Albums entstanden. Wir haben die Platte dann letztes Jahr produziert. Jetzt haben wir den Erfolg, den wir uns vielleicht erträumt haben, aber gerechnet haben wir damit nicht.
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Bald wird Nino de Angelo 60
Wie haben Sie den Triumph gefeiert?
An dem Wochenende, als das Album in die Charts gegangen ist, fing ich Freitag an ein bisschen was zu trinken und war sonntags wieder nüchtern.
Ich hatte gehofft, Sie wären mit einem O-Saft zu Bett gegangen.
Nein, nicht Nino de Angelo. (lacht)
Werden Sie sich wie 1983 nach „Jenseits von Eden“ einen weißen Porsche kaufen von den Moneten, die Sie nun verdienen?
Wenn dann in einer anderen Farbe. Für mich ist aber in erster Linie wichtig, dass ich irgendwann mal in Rente gehen kann und nicht arbeiten muss. Denn ich mache das Ganze schon 40 Jahre. Ich würde mich freuen, wenn ich noch ein oder zwei Tourneen machen könnte, vielleicht noch ein Album. Und dann ziehe ich von mir aus in das kleinste Häuschen am Meer, aber Hauptsache Meer, wo ich meinen Lebensabend genießen kann und ab und zu, wenn ich Lust habe, Musik mache, aber so, dass ich mir nicht den Arsch abtingeln muss. Das wäre mir am liebsten.
Und vor dem nächsten Höhenflug sind Sie gefeit?
Ich denke schon. Ich bin jetzt auch schon im gesetzten Alter. In 2023 werde ich 60. Das wird noch mal gebührend gefeiert, dann noch ein paar Jahre arbeiten – mit diesem Erfolg im Rücken ist das möglich. Und wenn’s dann am Schönsten ist, sollte man aufhören.
Sie singen im Song „Equilibrium“ vom Deeskalieren mit Whiskey und Koks. Was war das für eine Zeit, in der das zu Ihrem Lifestyle gehörte?
Die schlimmsten Jahre waren zwischen 1990 und 2010, eigentlich ging es sogar bis 2015. Da war ich halt verloren, ne? Ich und die Mutter meiner Kinder haben uns 1998 getrennt und scheiden lassen. Damit ging quasi der freie Fall los, und der dauerte locker 25 Jahre.
Würden Sie das als verlorene Jahre bezeichnen?
Nein, es waren Jahre, die mich zu dem gemacht haben, der ich heute bin: Ein Mensch, der über das Leben Bescheid weiß, der sich selber kennengelernt hat, der sich selber gelernt hat zu akzeptieren, und der das Optimalste versucht hat aus sich herauszuholen und am Ende nie aufgegeben hat. Es waren harte Jahre, aber sehr wertvolle Jahre im Nachhinein gesehen. Sonst hätte ich das, was ich jetzt gerade mache, nicht hinbekommen.
Sie meinen die Tiefgründigkeit der neuen Songs?
Ja, richtig.
„Ich bin genetisch depressiv“
Ihr Buch fängt an mit einem versuchten Suizid. War das ein Hilfeschrei oder wollten Sie sich wirklich umbringen?
Ich war ja eigentlich schon weg, ich war schon fast tot, nur Sekunden davon entfernt. Wenn die Mutter meiner Kinder nicht zufällig ins Zimmer gekommen wäre und im letzten Moment den Strick durchgeschnitten hätte, dann wäre ich heute nicht mehr da.
Hatten Sie längere depressive Phasen?
Ich bin genetisch depressiv. Das habe ich von Geburt an. Die Depressionen sind in unserer Familie, damit musste man auch erst mal zurecht kommen. Ich nehme jetzt seit zehn Jahren Medikamente dagegen, seitdem ist es besser. Vorher wusste ich nicht, dass es etwas gibt, womit man so etwas überhaupt einigermaßen in den Griff bekommt, so dass man nicht mehr in diese tiefen Löcher fällt. Seitdem ich Medikamente dagegen nehme, komm ich klar.
Im Buch versuchen Sie zu ergründen, warum das so ist und Sie zu Exzessen neigen. Was haben Sie für sich herausgefunden?
Auf der einen Seite spielt die Depression dabei eine große Rolle, auf der anderen Seite die Labilität. Ich bin ein sehr leidenschaftlicher Mensch, ein sehr offener Mensch, also immer mit offenem Visier, dann bist du auch sehr verletzlich – das hat alles damit zu tun. Und wenn du damit nicht umgehen kannst, wenn du jeden Scheiß persönlich nimmst, den man über dich schreibt, gerade in diesem Geschäft, dann kann es schon dazu führen, dass du nicht mehr leben kannst. Es gibt viele Menschen, die damit überhaupt nicht zurecht kommen. Solche Phasen hatte ich auch.
Aber nicht mehr?
Ich kam an einen Punkt, wo ich aufgehört habe, es persönlich zu nehmen. It’s all a fucking business. Ich habe mir dann selber gesagt: Du musst egoistischer werden, dich schützen. Du darfst das nicht an dich ranlassen. Du musst vor allen Dingen rauslassen, sonst implodierst du. Deswegen auch die Ventile wie die Alkoholexzesse. Man wird dann auch egozentrisch, teilweise auch zum Arschloch, aber es ist nun mal so.
Können Sie frühmorgens noch in den Spiegel schauen?
Ja, das kann ich. Aber es nützt ja nichts, leidend in den Spiegel zu gucken. So leidend wie das Leiden Christi und sich immer nur selbst bemitleidend. Nein, du musst auch austeilen. Es geht nicht anders.
Vereinzelte Kritik prallt ab
Fühlten Sie sich eigentlich als Außenseiter, wenn Sie in einer Schlagersendung von Florian Silbereisen auftraten?
Ja, so habe ich mich aber immer gefühlt, nicht nur in Schlagersendungen. Jetzt bin ich endlich da, wo ich immer sein wollte. Ich habe immer gelebt wie ein Rockstar und Schlager gesungen. Eigentlich ist es jetzt fast umgekehrt: Jetzt mache ich Rockmusik und lebe wie ein Schlagersänger. Mit Pferden und Hunden mitten in den Bergen in einem 3000-Seelendorf im Allgäu.
Ihren Humor haben Sie offenbar nicht verloren: Als ein Konsument Ihr Album jüngst als grottenschlecht bezeichnete, konnten Sie drüber lachen.
Natürlich lache ich darüber! Man darf das alles nicht so ernst nehmen. Da sind 100 gute Kommentare und eine sagt: „Das ist der letzte Scheiß.“ Was soll’s. Dann sag ich: „Sprich mich ruhig an, wenn du mich mal siehst, ich gebe dir das Geld zurück. Kein Problem!“ Bis heute hat sie sich leider nicht gemeldet.
Sie schreiben über die Retterrolle, die Sie von Ihrem Elternhaus unbewusst zugeteilt bekamen, weil Sie die Lücke Ihres verstorbenen Bruders füllen mussten. Haben Sie das mal therapeutisch aufgearbeitet?
Ja, ich habe viele Therapien gemacht. Mich hat das auch interessiert, wie Menschen und die Psyche funktionieren. Ich beschäftigte mich viel mit Philosophie, Psychologie und Familienaufstellungen. Ich war oft alleine, habe mit 30 das erste Mal beim Therapeuten gesessen, um meine Kokainsucht loszuwerden. Das hat natürlich nicht funktioniert – im Gegenteil: Spätestens als einer meiner Therapeuten eine Stunde zu spät sturzbetrunken zu unserem Termin kam, hörte ich auf, daran zu glauben. Ich bin untherapierbar. Ich mache sogar meinen Therapeuten fertig, der sich erst mal einen ansaufen muss, bevor er mit mir spricht. Irgendwann habe ich mit den Sitzungen aufgehört und quasi angefangen, mich selbst zu therapieren.
Und Frieden damit geschlossen, dass es nie ganz weg geht?
Ja, man muss Frieden mit sich schließen. Man muss sich akzeptieren mit allen Fehlern, die man hat. Und allen Wunden, allen Narben, das ist ganz wichtig. Und so sollten einen die Menschen, die einen lieben, auch annehmen. Denn nur so kann Harmonie entstehen. Man darf Leute nicht verbiegen, man muss sie lassen, wie sie sind. Und wenn sie dir nicht gefallen, dann gehe ihnen aus dem Weg.
Sie geben solche Lebenstipps auch jeweils am Ende eines Buchkapitels.
Aber immer aus meiner Sicht heraus, so wie ich es erlebt habe. Vielleicht hilft es ja dem einen oder anderen. Wenn ich nur einer Person einen guten Tipp geben kann, und diese ist danach zufriedener oder glücklicher, dann hat sich das Schreiben schon gelohnt.
Hier geht’s zum 2. Teil des Interviews: „Selbst mein Therapeut hat sich betrunken“
Album: „Gesegnet und verflucht“ (Ariola/ Sony)
Buch: „Gesegnet und verflucht: Dein Gegner bist immer du selbst. Die 10 wichtigsten Tipps, um nicht vor die Hunde zu gehen“ (Riva)