InterviewWham!-Star Andrew Ridgeley: „Niemand konnte George Michael helfen“
„In Erinnerung an meinen besten Freund, mit dem ich das Einzige gemacht habe, was ich je wirklich machen wollte, und der der Einzige war, mit dem ich es mir je hatte vorstellen können.“ Mit diesen berührenden Worten beginnt das Buch „Wham! George & ich“ von Andrew Ridgeley.
Darin beschreibt der heute 56-jährige Brite seine Freundschaft zu dem an Weihnachten 2016 verstorbenen George Michael und ihre gemeinsame Zeit in der Popband Wham! Es erscheint zur richtigen Zeit, denn „Last Christmas“ läutet auch in diesem Jahr das Fest ein. (Übrigens: Gerade wurde der Clip neu digitalisiert in 4K aufgelegt.)
Nur wird Weihnachten für Ridgeley nie mehr dasselbe sein, wie er beim klatsch-tratsch.de-Interview mit Katja Schwemmers in Hamburg erzählt.
Andrew, hast du auch die Meldung gelesen, dass übermäßige Beschallung mit „Last Christmas“ krank machen kann?
Sie meinen, Menschen müssen sich davon übergeben?
Schlimmer: Es soll Herzrasen verursachen.
Ich glaube, da hat die Presse über die Stränge geschlagen. Ich bezweifle das. Aber ich kann verstehen, dass es heikel sein kann, wenn man das Lied jeden Tag immer wieder hört.
Hast du schon Nebenwirkungen bei dir festgestellt?
Nein. So oft höre ich das Lied gar nicht. Ich höre nämlich kein Radio. Wenn ich unterwegs bin, einkaufen gehe oder ein Taxi vorbeifährt und es dort läuft, krieg ich es mit. Und wissen Sie was? Ich liebe das Lied immer noch.
Seit 35 Jahren klettert „Last Christmas“ zu Weihnachten die Charts hinauf. Ahntest du damals, dass es so groß werden würde?
Als George mir eine erste Version auf seinem Keyboard im Hause seiner Eltern vorspielte, war mir sofort klar, dass es ein riesiger Hit werden würde. Es hat einfach alle Zutaten eines klassischen Weihnachtssongs, und es war sofort identifizierbar als solcher. George wollte einen Weihnachtsklassiker schreiben, und er hatte das Talent, genau das zu tun. Ihm war ein Geniestreich gelungen. Ein fantastisches Stück Pop-Handwerk.
Wie war denn seine Einstellung zu dem Stück in späteren Jahren: War ihm der Kitschgehalt des Songs eventuell doch etwas peinlich?
Gut möglich. Er ging ja auch mit anderen Wham!-Stück hart ins Gericht. Er hasste „Bad Boys“, weil er sich den nach „Young Guns (Go For It)“ abringen musste. Und er war ziemlich ungehalten bezüglich „Careless Whisper“; den hatten wir geschrieben, als wir 17 waren. Es ist ein sehr clever geschriebener Text, wenn es darum geht, die Sentimentalität einer romantischen Ballade zu treffen. Aber er sagt nicht wirklich etwas aus über die Liebe. Es ist der naive Text eines Teenagers. Das war Georges Kritik daran.
Aber der Song zahlt die Miete.
Und ein gutes Abendessen ist auch noch drin. (lacht)
Für den Videodreh seid ihr damals in eine Skihütte in die Schweiz gefahren. Welche Erinnerungen hast du daran?
Es war sehr ausufernd. Als wir ankamen, waren all unsere Freunde schon da, aßen und tranken und hatten eine gute Zeit. Die Situation eskalierte, als wir nackt baden gingen. Einige übergaben sich im Pool – aber ich war’s nicht! Überall hörte man Gelächter, und der Spaß reichte bis zum nächsten Abend. Das gipfelte in einer Stiefel-Jagd von nackten Menschen im Schnee. George war am Ende etwas frustriert, weil der Dreh jegliche Ernsthaftigkeit vermissen lies.
War der Videodreh zu „Club Tropicana“ denn ernsthafter?
Wir waren damals gerade mal 19, sehr unerfahren und befanden uns in einem Luxus-Hotel auf Ibiza. Ich erinnere mich daran, wie unser Manager uns mit verbundenen Augen weißen und roten Wein vorsetzte. Wir konnten nicht mal sagen, dass es Wein war, weil wir den nicht kannten – so grün waren wir hinter den Ohren. Das Video war die Illustration einer Welt, die wir erst noch entdecken sollten.
Hättest du dir vorstellen können, dass 35 Jahre später mal ein ganzer Film aus „Last Christmas“ entsteht?
In meinen kühnsten Träumen nicht! Heute muss ich allerdings sagen, dass es eine großartige Idee ist und ein großartiger Titel für einen solchen Film. Ich hoffe, dass auch der zum Weihnachtsklassiker wird.
Du hast einen Cameo-Auftritt darin.
Ja, aber meine Rolle ist stumm, bedauerlicherweise. Sie haben mir wohl nicht zugetraut, dass etwas Gescheites dabei rauskommt, wenn ich meinen Mund aufmache. (lacht)
Warst du involviert, als George Michael dem Film zustimmte und die Musik dafür zur Verfügung stellte?
Klar, als Rechteinhaber war ich miteinbezogen in die Verhandlungen, sie schickten später auch das Drehbuch. Das erste Treffen zwischen George und Emma Thompson fand allerdings lange vor seinem Tod statt. Der Film war also schon viele Jahre in Planung.
Der Soundtrack beinhaltet den neuen George-Michael-Song „This Is How“. War’s das oder liegt in den Archiven noch mehr unveröffentlichtes Material? Denn es war ja immer die Rede davon, dass er an einem neuen Album arbeiten würde.
Ja, es gibt Material. So weit ich es verstanden habe, ist es allerdings recht limitiert. Ob es jemals veröffentlicht werden wird, kann ich nicht sagen. Es steht wohl bei den Entscheidern das Fragezeichen im Raum, ob es sich dabei um fertige Stücke handelt. Denn George hätte nie etwas veröffentlicht, dass nicht exakt seinen Vorstellungen entspricht. Ich war nicht Teil dieser Aufnahmen, deshalb kann ich es nicht beurteilen. Das wusste, wohl nur er selbst.
Es ist geradezu Ironie des Schicksals, dass George Michael ausgerechnet zu Weihnachten verstarb. Deine Wham!-Kollegin Shirley Kemp äußerte, dass sie seither das Fest fürchtet. Wie ist das bei dir?
Weihnachten wird nie wieder dasselbe sein! Weihnachten hat sich verändert für seine Freunde, seiner Familie und alle, die ihn geliebt haben – das inkludiert auch seine Fans. Das Fest ist behaftet mit Trauer um ihn. Es könnte gar nicht anders sein. Dennoch versuche ich, ihn lebendig zu erinnern und die Aufmerksamkeit auf die gute Zeit mit George zu legen, als wir unseren Spaß hatten und das Leben genossen haben.
Wenn der beste Freund aus Schulzeiten stirbt, führt einem das auch die eigene Sterblichkeit vor Augen, oder?
Da gibt es ein Buch von Kingsley Amis, „The Anti-Death League“. Es erzählt davon, wie der Tod immer näher und näher kommt, durch die Menschen, die du um dich herum verlierst. Erst sind es die Großeltern, dann die Eltern, dann Freunde. Irgendwann ist er direkt vor dir. Und so fühlte es sich mit dem Tod von George an. Der Tod hätte nicht näher an mir sein können.
Warst du überrascht?
Absolut. Man nimmt ja nicht an, dass jemand, der so alt ist wie man selber, stirbt. Wir waren damals beide 53. Das ist nicht sehr alt. Das ist sogar überhaupt nicht alt. Es ist ein großer Schock. George und ich hatten einige Freunde verloren, als wir jung waren. Aber es war lange her, dass ich einen engen Freund verloren hatte. Wenn das passiert, zieht es dir erst mal den Boden unter den Füßen weg.
Er hatte ja schon länger Probleme. Konnten Sie ihm helfen?
Leider konnte George niemand helfen. Trotz des Versuches vieler Menschen, die um ihn herum waren, mich eingeschlossen, war er an keinem guten Platz in seinen späteren Lebensjahren. Unglücklicherweise waren da eine Reihe von Traumata, die sein Leben beeinträchtigen und die er nie vollends verkraftet hatte: der Tod seiner Mutter, der Aids-Tod von Anselmo, seiner großen Liebe. Und gesundheitlich war er nach einer Lungenentzündung im Jahr 2011 auch nie mehr ganz der Alte.
Ist er als unglücklicher Mensch gestorben?
Ich hoffe nicht. Ich hoffe, er war frohen Mutes. Ich weiß zumindest, dass er sich sehr auf Weihnachten gefreut hatte. Wie jedes Jahr.
Du selbst standest lange nicht mehr in der Öffentlichkeit. Hast du durch die Buchveröffentlichung wieder Blut geleckt?
Ich habe einige Ideen, die ich nun mit Freunden und Beratern erörtere. Ich hatte viel Spaß dabei, mit dem Buch etwas Konstruktives zu tun. Das war lange Zeit nicht der Fall. Ich habe einfach nur ein sehr glückliches und privilegiertes Leben geführt.
Du bist mit 23 in Rente gegangen. Was hast Du nur all die Jahre gemacht?
Ich war in der glücklichen Lage, mich an all den Dingen erfreuen zu können, die das Leben bietet. Ich denke, viele Leute hätten das ähnlich gehandhabt, wenn sie in meiner Position gewesen wären. Manchmal hat mich George darum beneidet. Ich habe nicht viel vergeudet. Und ich hoffe, es wartet auch noch einiges auf mich.
Mit der Musik hast du ein für alle Mal abgeschlossen?
Mit meinem Rückzug ging auch die Motivation. Ich habe nicht mehr wirklich den Wunsch, Songs zu schreiben und aufzuführen. Die Fähigkeit, Songs zu schreiben und zu spielen, musst du auch trainieren. Wenn du das nicht tust, dann verlässt sie dich. Außerdem ist die kreative Lebensdauer eines Künstlers nicht endlos. Sie hält vielleicht 20 Jahre, wenn du Glück hast. Es gibt keine 50- oder 70-Jährigen, die Hit-Singles schreiben. Das passiert einfach nicht.
Wie fühlt sich das an, wenn Fans bei Buch-Signierstunden für dich im Chor „Club Tropicana“ singen?
Es ist wundervoll, wie viel Wham! und die Songs den Menschen bedeutet. Ich habe bei den Terminen Leute getroffen, deren Leben dadurch auf die eine oder andere Art geformt wurde. Eine Frau kam extra aus Kabul nach Dublin zur Signierstunde angereist. Sie meinte, sie wäre Wham!-Fan geworden, weil ihr Bruder 1984 eine Kassette in ihr Dorf in Afghanistan geschmuggelt hätte. Musik war verboten unter der Taliban. Wham! repräsentierten für sie Freiheit.
Und solche Geschichten hörst du häufiger?
Oh, ja. Da war noch ein junger Typ, der seine Desertation an der Uni geschrieben hatte. Er überreichte sie mir und sie hieß: „I don’t want your freedom – Wham! und China in den Achtzigern.“ Denn wir waren die erste Popband, die dort aufgetreten war. Er bekam dafür eine 1 mit Prädikat von der London School of Economics.
Weinen die Fans mit dir um George?
Das kommt vor. Sie werden von ihren Gefühlen übermannt. Leute sagten mir, dass es sehr emotional sei, das Kapitel mit den Passagen über seinen Tod zu lesen. Und natürlich erinnere ich die Menschen an George. Aber die meisten wollen mir einfach nur mittteilen, wie Wham! ihre Leben beeinflusst hat.
Ich habe immer noch ein T-Shirt mit „Choose Life“-Aufdruck!
Die kommen auch nicht mehr aus der Mode. Es gibt siebenjährige Mädchen, die totale Wham!-Fans sind und sie tragen, weil sie mit der Musik ihrer Eltern aufwachsen.
Besucht dich George manchmal in deinen Träumen?
Nein, ich träume auch nicht wirklich. Vermutlich, weil meine Träume Wirklichkeit wurden. George und ich zogen aus und wollten Wham! zum Erfolg führen. Das haben wir erreicht.
„Wham! George & ich“ ist als gebundene Ausgabe bei HarperCollins Germany erschienen und „Last Christmas“ kam gerade als weiße Vinylsingle über Sony Music auf den Markt.