Jahrestag Mauerbau60 Jahre Mauerbau: Deutschlands „größte Leinwand der westlichen Popkultur”
Am 13. August 1961 war Schluss! Die Grenzen zwischen Ost- und Westdeutschland wurden dicht gemacht und statt mit dem Trabi durchs Brandenburger Tor zu brausen, spazierte man nun die Berliner Mauer auf und ab. So unterschiedlich entwickelte sich die Popkultur in den letzten 60 Jahre auf beiden Seiten.
Die Popkultur hat ihren Ursprung in den frühen 60er Jahren und zeigte sich schon damals in Form von Musik, Mode, Kunst und Unterhaltung. Der deutsche Historiker und Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Edgar Wolfrum, fasst die Entstehung der Popkultur als eine stille Revolution des Wertewandels zusammen, die sich „durch lautstarke Musik zeigte und die alten Dichotomien zwischen Kunst und Unterhaltung, Eliten- und Massenkultur durchbrach“. Die Graffiti-verzierte Berliner Mauer bezeichnet er als „größte Leinwand der westlichen Popkultur”.
Doch wie haben sich Musik, Mode, Kunst und Unterhaltung jenseits der Mauer entwickelt? Wie sieht es mit dem Thema Popkultur Made in GDR aus? Ein Rückblick.
Filme in Ost und West: Schwarz oder Weiß
Die Mauer war ein politisches Bauwerk, das nicht nur auf das wirtschaftliche und soziale Leben einen großen Einfluss hatte. Auch die Kultur entwickelte sich mit ihrem Bau 1961 in völlig unterschiedliche Richtungen. Der Wunsch nach Liberalisierung und Demokratie prägte den Zeitgeist der DDR und spiegelt sich in vielen Filmen der DEFA wider. „Der geteilte Himmel“ (1964) von Konrad Wolf und Frank Beyers „Spur der Steine“ von 1965 zählen zu den bekanntesten Gegenwartsfilmen der ehemaligen DDR und stellten auf unterhaltsame Weise gesellschaftliche Widersprüche dar.
Die Parteiführung stufte sie als „politisch falsch und gefährlich“ für den sozialistischen Staat ein. Mitarbeiter und Künstler in der Filmindustrie hatten es im Westen leichter. Das bekannte Filmstudio Babelsberg lag zwar nur wenige Meter von der Mauer entfernt, öffnete Filmemachern und Schauspielern aber den Weg in eine ganz andere, freie Welt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges etablierten sich die Filmtheater hier zu ertragreichen Investitionsobjekten. Vor allem die großen Kinopaläste der 70er Jahre, in denen später amerikanische Blockbuster liefen, zogen eine neue Zielgruppe an: die Jugend – Wegbereiter der modernen Popkultur.
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Krasse Kontraste: Kunst oder Kitsch?
Jeder kennt die Graffiti Bilder, die heute noch die letzten, grauen Überbleibsel der Berliner Mauer verzieren. Sind sie meist auch keine 60 Jahre alt, zeugen sie dennoch von dem Stellenwert, den die Mauer damals in der Kunst und in der sich gerade erst entwickelten Popkultur einnahm. Viele Künstler aus der westdeutschen Provinz zogen damals wegen der billigen Preise und boomenden Szene nach Ostberlin, aus dem sie entweder frühzeitig wieder flohen oder plötzlich gefangen waren.
Allerdings wurde Kunst in der DDR als „symbolische Lösung“ gesellschaftlicher Widersprüche angesehen und durfte lediglich der ästhetischen Erziehung der Bevölkerung dienen. Diese „Jungen Wilden“ aus Kreuzberg begannen an Werken zu arbeiten, die später oft mit dem Begriff des Sozialistischen Realismus zusammengefasst wurden. Oder mit anderen Worten: Kunst im Dienst ideologischer Ziele. Darauf beruht auch die bis heute häufig vertretende Theorie, die Kunst in der DDR sei nichts anderes als reine Propaganda.
Doch genau diese Geringschätzung befeuert die Debatte über DDR-Kunst bis heute. Durch Ausstellungen wie „Kunst der DDR“ in der Berliner Nationalgalerie 2003 bekam die Kunst aus dem ehemaligen Osten das erste Mal eine Chance, ernst genommen zu werden. Hilke Wagner, Direktorin des Dresdner Albertinums, findet, dass vor allem den Künstlerinnen der DDR-Zeit mehr Beachtung geschenkt werden sollte: „Sie sind vor 1989 marginalisiert worden und danach wieder.“ Werke dieser Frauen, aber auch Performances, Installationen und Experimentalfilme von bisher wenig bekannten Künstlerinnen und Künstlern der DDR sind genauso ein Teil deutscher Kultur, wie die Werke, die auf der anderen Seite der Mauer entstanden.
West trifft Ost: Musik & Mode
Nach dem Krieg verbreitete sich im Westen Musik von amerikanischen Popstars wie Bill Haley oder Elvis Presley. Dies hatte zur Folge, dass sich diverse deutsche Pop Bands zusammentaten, um dem Trend zu folgen. Beispiele hierfür sind die Rattles aus Hamburg oder die Berliner Lords. In der DDR gestaltete sich dies ungemein schwerer. Zwar hörte die Jugend über heimliche Piratensender auch dort heimlich die neuartige Popmusik aus den USA oder bekam die Hits Der Beatles zu Ohren, doch die strenge SED-Nomenklatur behinderte die Entwicklung einer zeitgemäßen nationalen Musikindustrie. Zu den wenigen bekannten Bands dieser Zeit gehören die Ostberliner Punkband Feeling B und die Cottbuser Avantgarde-Rocker Sandow.
Mary Quant: Wie reagiert die DDR auf den Minirock?
Heutzutage muss man nicht zwingend in den 60er Jahren groß geworden sein, um sich an die Mode von damals zu erinnern. Der Minirock ist bis heute eines der beliebtesten Kleidungsstücke in der Damenmode und wurde von der Engländerin Mary Quant zwischen 1963/64 entworfen. Die spindeldürre Britin Twiggy wird das Model der Zeit und im Westen zeigt Frau mehr Haut als Stoff.
Natürlich haben auch die Mädchen und Jungs im Osten mitbekommen, dass ein neuer, rebellischer Wind durch die Löcher der Berliner Mauer pustete. Doch da es diese Mode im grauen Osten nicht zu kaufen gab, hieß die DDR-Devise: Selbermachen. Es wurde sogar staatlich gefördert! Die Freie Deutsche Jugend und der Demokratische Frauenbund Deutschlands boten Nähkurse an und in Modezeitschriften wie der „Sibylle“ gab es passende Schnittmuster. Auch begehrt: die aus der Bundesrepublik eingeschmuggelten Modehefte wie „Burda“ und „Brigitte“ als Vorlage für Trends und angesagte Schnitte.
In den 70ern wird auf beiden Seiten der Mauer Streetwear modern.
Während man in den USA gegen den Vietnam-Krieg protestierte, revoltieren deutsche Studenten und Jugendliche gegen das Establishment und treiben die Entwicklung der Popkultur voran. Sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands verliert die Mode ihren elitären Charakter und es sind zum ersten Mal in der Geschichte die Jugendlichen, die Trends setzen. Die Popkultur war geboren!
Im Westen hieß das: Schlaghosen, Maxikleider, Batik-Look, und Hippie-Accessoires. Zwar brauchten die Trends aus dem Westen ein wenig Zeit, bis sie auch im Osten ankamen, aber wie immer fand die Mode ihren Weg nach vorne. Sogar die Jeans begann man ab den 70ern in der DDR zu produzieren, nannte sie allerdings die „Cottino-Hose“.
In den 80er Jahren entwickelte sich auf beide Seiten der Mauer eine modische Stilrichtung, die heute wieder größer und wichtiger ist als je zuvor: ökologische Mode. Zwar sah diese zu Zeiten Joschka Fischers alles andere als trendy aus, dennoch war sie im Osten wie im Westen angesagt.
Kann man Kunst und (Pop-)Kultur wirklich wieder vereinen?
Dann kam die Wiedervereinigung – und mit ihr der Zugriff auf alle popkulturellen Ressourcen, nach denen sich viele Ostdeutsche lange gesehnt hatten. Westdeutsche Standards wurden ungefragt als Ideal angesehen, ostdeutsche Lebensentwürfe oft belächelt. Doch Popkultur ist nicht nur Unterhaltung, sondern auch ein Spiegel der Gesellschaft. Und ihre Auswüchse sind immer eine direkte Reaktion auf herrschende Lebensumstände.
Deswegen kann man ein geteiltes Land vielleicht auf dem Papier wieder vereinigen, aber nicht auf Kosten der jeweils eigenen Kultur. Und so wundert es auch kaum, dass viele Künstler und Kulturschaffende aus der ehemaligen DDR ein „Ostbewusstsein“ fordern.
Denn: Auf dem Papier ist die Wiedervereinigung seit 31 Jahren vollzogen. In Kunst, Kultur, Mode und Musik bahnt sie sich aber immer noch tagtäglich neu ihren Weg.