SpotifyCharlotte Roche über ihren aufsehenerregend intimen Podcast
Charlotte Roche plaudert hier über ihren neuen Spotify-Podcast „Paardiologie“, ihre 15-jährige Beziehung zu ihrem Ehemann, Tipps für die Kommunikation mit Männern, Altersunterschiede zwischen Frau und Mann, den Umgang mit grauen Haaren, Menstruation und „Free Bleeding“, Feminismus und was sich nach „Feuchtgebiete“ verändert hat, ihr Verhältnis zu Jan Böhmermann, Tabus und Peinlichkeiten.
Charlotte Roche (41) und ihr Ehemann Martin reden zu wenig miteinander. Um das zu ändern, gibt es ab sofort ihre „Paardiologie“ bei Spotify anzuhören. Das Spannende daran: Wir können alle dabei sein, wenn sich die Beiden über Themen wie Sexualität, Kindererziehung und Finanzen offenherzig die Köpfe heiß reden – und als Nebeneffekt ihre Beziehung verbessern. Seit Freitag geht es mit der ersten von 15 wöchentlich erscheinenden Episoden los. Vorab trafen wir Roche in Hamburg für ein enthusiastisches Gespräch über den Status Quo ihrer Liebe.
Frau Roche, die Popsängerin Pink hat vor Kurzem in einer Talkshow gesagt, dass sie und ihr Mann von Beginn an in Paartherapie wären, da sie nicht dieselbe Sprache sprechen. Können Sie das nachvollziehen?
Absolut! Wie oft saßen mein Mann und ich in der Paartherapie und haben dann festgestellt, dass Männer und Frauen gar nicht zusammen passen? Was soll das also alles? Ich finde sogar, dass nur Frauen mit Frauen zusammen sein sollten und Männer mit Männern, weil es vermutlich viel besser klappen würde. Typisch für die Kommunikation ist doch, dass eine Frau findet, mit einem Blick und einer Geste sei alles gesagt und sie ihm dann abends einen riesigen Einlauf gibt, und der Mann dann meint: „Hä? Deswegen hast du mich immer so böse angeguckt?“ (Charlotte Roche guckt böse) Man muss 99,9 Prozent der Männer schon ganz direkt auf den Kopf zusagen: „Hör jetzt auf damit, sonst töte ich dich.“ Dann antwortet er: „Verstanden, ich höre auf.“
Praktizieren Sie das mittlerweile so?
Ja, weil ich es jahrelang so oft mit kleinen Gesten, Augenverdrehen oder unterm Tisch treten probiert habe. Aber das wird so gedeutet, als wenn man dort Mücken verjagen wollte. Daher mein Rezept: Richtig dolle mit einem Megafon in die Fresse schreien, was man meint, weil sonst sagt der Mann immer: „Hat mir keiner gesagt, konnte ich nicht wissen.“
Das ist doch schon mal ein guter Ansatz.
Total, und deswegen gebe ich Pink vollkommen Recht. Paartherapeuten sagen übrigens, die meisten Paare kommen sechs Jahre zu spät, so dass es dann doch zu einer Trennung führt. Am Anfang wird ja immer gefragt: „Lieben Sie Ihren Partner noch? Haben Sie Hoffnung, dass Sie zusammenbleiben können?“ Wenn man das verneint, dann leiten die die Trennung ein. Und wenn man sechs Jahre lang alleine rumgemurkst hat und völlig verzweifelt war, weil man zum Beispiel die Sprache des Anderen nicht versteht, nicht streiten kann, man immer wieder die gleichen Muster sieht, ist das nicht gerade förderlich.
Ihr Gatte und Sie liegen 15 Jahre auseinander. Hat das an Relevanz gewonnen über die Jahre?
Ja, klar. Der Altersunterschied war früher richtig cool, fand ich. Ich bin mit Martin zusammengekommen, da war ich gerade mal 25! Es liegt auf der Hand, dass da der Vaterkomplex mitreinspielte. Es gibt ja Gründe, warum Leute sich verlieben, das frühere Leben spielt da eine Rolle. Ich bin Scheidungskind, ich habe meinen Vater vermisst, bin ihm immer hinterhergelaufen; der hat mir nie gesagt, dass er mich liebt. Als dann Martin kam, war das einfach Liebe auf den ersten Blick.
Und wie ist das mit dem Altersunterschied heute?
Ich würde sagen, der Vaterkomplex ist wegtherapiert. Ich habe jetzt bessere Gründe ihn zu lieben und bei ihm zu bleiben. Es ist kein Quatsch, dass wir richtig viel übers Testament reden und auffällig oft über Sachen wie „Was machen wir, wenn jemand Alzheimer kriegt“. Ich glaube, das würde man nicht machen, wenn man mit einem gleichalten Mann zusammen ist. Mein Mann macht immer Witze und sagt, es sei ja wahrscheinlicher, dass es erst mit ihm den Bach runtergeht, weil wäre ja komisch, wenn es erst bei mir so wäre. „Du wirst mich dann in einen Rollstuhl stecken und immer zum ‚Germany’s Next Topmodel’-Finale schieben und lauter Sachen mit mir machen, gegen die ich mich nicht mehr wehren kann“, meinte er neulich zu mir.
Ein toller Nebeneffekt ist aber, dass man als Frau erste graue Haare dann nicht mehr wegfärben muss, weil der Mann ja schon viel grauer ist als man selbst, oder?
Ja, genau, das ist wie bei George Clooney. Einen älteren Mann zu haben, ist eigentlich auch ein ganz mieser Trick, um sich für immer jung zu fühlen. Martin ist jetzt 55 – er hat Freunde, die sind 60 oder 70. Das heißt, ich hänge teilweise mit Leuten rum, die älter sind als meine Eltern. Dann ist man immer das Küken und sozusagen das pubertierende Dummy, von dem alle immer denken: Werde du erst mal erwachsen! Es ist wirklich so, dass ich durch meinen Mann meine grauen Haare nicht schlimm finde, sondern gut. Weil ich immer denke, im Vergleich zu ihm sehe ich jünger aus. (lacht)
Spielt das alles bei der Sexualität eine Rolle?
Ja, total. Aber im positiven Sinne: mehr Jahre, mehr Erfahrung.
Erzählen Sie mal…
Auf jeden Fall ist die Sexualität sehr unterschiedlich. Ich würde auch plädieren für eine Podcast-Folge, die „sexuelle Sozialisation“ heißt, in der es dann darum geht, wo man herkommt, aus welcher Zeit man kommt, wie man geprägt wurde, wie man erzogen wurde mit Sexualität. Im Kern also: Was waren die ersten sexuellen Kontakte, und wie haben die einen geprägt für den Rest des Lebens? Denn man kann nicht unbedingt was dafür, was man geil findet und was nicht.
Das klingt spannend.
Und ist in jedem Bereich so. Wir sind anders erzogen worden im Bezug auf Geld, Aufräumen, Sauberkeit, Körperhygiene. Und das alles knallt in einer Beziehung aufeinander und muss verhandelt werden – mit Kompromissen und Machtkämpfen, weil ja jeder auch denkt, so wie er Sex macht oder wie er mit Geld umgeht, ist es am besten.
Das klingt jetzt fast, als würden Sie mit dem Podcast da anschließen, wo Sie mit „Feuchtgebiete“ aufgehört haben.
Mir wird ja oft unterstellt, dass ich mit einer Liste von Tabus dasitze und die alle abarbeite – doch so denke ich natürlich nicht. Aber wenn man quasi bei der Arbeit Tabus bricht, ist das doch toll, denn ich bin in den meisten Fällen gegen Tabus. Körperliche Tabus, sexuelle Tabus – das alles führt dazu, dass Leute Dinge unterdrücken. Wenn es da Probleme gibt, werden die durch Schweigen schlimmer. Viele Leute finden mich oder meine Themen ekelig. Aber ich finde, dass das doch alles einfach nur menschlich ist und man nicht dagegen ankämpfen muss oder nicht darüber reden darf. Wie jetzt zum Beispiel das Thema Menstruation.
Sie unterstützen da eine Kampagne gegen die hohe Besteuerung von Hygiene-Artikeln.
Ja, und ich bin für die komplette Enttabuisierung der Menstruation in der Gesellschaft, so dass Frauen eben nicht mehr bei der Arbeit oder wie ich früher in der Schule flüstern müssen, wenn man einen Tampon braucht. Das sollte so sein wie „Haste mal ein Taschentuch?“
Sind Sie auch für „Free Bleeding“ – also das Menstruieren ohne Tampon, Binde oder Menstruationstasse?
Wenn man es komplett in die Klamotten laufen lässt, ist das genauso „Free Bleeding“, es ist ja frisches Blut. Das ist wie eine Kunstaktion. Manche mögen’s, manche nicht.
Haben Sie es ausprobiert?
Nein, leider nicht, so cool bin ich nicht! Aber das man mehr Kontakt zu seinem Körper entwickelt, es ein bisschen einhält, sammelt und das Blut dann auf Klo ablässt, das geht.
Eine Folge des Podcasts soll dem Thema Finanzen gewidmet sein. Hat es Einfluss auf die Beziehung genommen, als Sie mit „Feuchtgebiete“ international bekannt wurden und das Geld plötzlich floss?
Ja, natürlich. Ich war dann auch Chef-Boss. Am Anfang, als wir zusammengekommen sind, spürte ich in der Firma, bei der Arbeit, bei den Kollegen und Kölner Medien, dass die Beziehung schon reduziert wurde auf „Eine junge Frau kommt mit einem älteren Mann zusammen, der mehr Geld hat.“ Das sagt einem natürlich niemand ins Gesicht. Aber es fielen schon Bemerkungen wie „Mensch, das ist ja toll, dann hast du ja jetzt ausgesorgt mit deiner neuen Liebe“.
Wie fühlte sich das an?
Ich dachte so: Boah, das denken Leute? Ach, du Scheiße! Als ob man gekauft wurde oder sich hat kaufen lassen oder eine Ehefrau-Prostituierte ist – so fühlte sich das an. Das ist natürlich Leiden auf hohem Niveau, aber es war Leiden, weil ich das nicht kannte. Ich war vorher immer so unabhängig und galt als souverän, stark, einfach die „Fast Forward“-Moderatorin von VIVA: große Fresse, dicke Eier, lange Achselhaare. Und dann kommt der sozusagen in mein Leben und ruiniert im Prinzip erst einmal meinen Independent-Ruf? So dass ich plötzlich ne „rich bitch“ bin? Es war, ohne Quatsch, dass allererste Mal, wo ich mit Neid umgehen musste im Leben. Weil ich zuvor zwar Fame hatte fürs Indiesein, aber einen reichen Mann zu haben, macht dir keinen Fame – da freut sich keiner für einen.
Aber dann hat es sich ja schlagartig geändert.
Dann kam zum Glück der Erfolg mit „Feuchtgebiete“. Das war sehr überraschend für mich, weil ich auch da eher dachte, dass dieses verrückte Buch eher ein Indie-Hit werden würde.
Für die kaputten Typen auf der Welt.
Ja, für so ein paar Special-Interest versaute Perverse – so dachte ich. Und dann ging das so ab! Wenigstens kann jetzt niemand mehr sagen, was für mich sehr befreiend für die Liebe ist, dass ich noch bei ihm bleibe wegen des Geldes. Es gab mir damals wieder eine andere Stärke, um allen zu sagen: „Fickt euch ins Knie, ihr Schweine!“
Kommt Ihr Mann gut mit Ihrer feministischen Stärke zurecht?
Ja, klar. Das ist schließlich mein Mann! Der ist noch ein größerer Feminist als ich. Der will, dass Frauen alleine die Regierung stellen. Der möchte, dass es nur noch CEOs gibt, die weiblich sind. Der sagt: „Wir Männer haben so lange scheiße gebaut, lassen wir die Frauen mal machen.“
Sie haben Ihren Mann als TV-Produzent bei „Charlotte Roche trifft…“ kennengelernt, nachdem drei Ihrer Brüder bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zu Ihrer Hochzeit ums Leben gekommen sind. Wie hat sich das auf Ihre Beziehung ausgewirkt?
Es war ein sehr schwerer Anfang. Wir sind zusammengekommen, als ich mein schlimmstes Trauma hatte. Er hat die ganze Jahre über die Nachwehen mitbekommen, denn so ein Trauma sucht sich Ventile in Panikattacken, Ängsten, Süchten. Martin hat es ausgehalten, mir geholfen und sozusagen daran geglaubt, dass es irgendwann besser wird. Das wurde es ja dann; auch, weil er das Gute gesehen hat und das nicht mit den vielen anstrengenden, schlimmen und belastenden Sachen verrechnet hat.
Ihr Mann ist bisher öffentlich nicht in Erscheinung getreten.
Aber bald! Wir bringen ihn ganz groß raus. (lacht)
Wie haben Sie Ihn dazu bekommen, sich auf die Sache einzulassen?
Ich war am Telefon mit einem Kumpel, der mit mir überlegte, mit wem ich einen Podcast machen könnte. Ich hatte Lust, das Medium mal auszuprobieren und mir ein paar Podcasts der Kollegen angehört.
Auch den „Fest & Flauschig“-Podcast von Ihrem Ex-Moderations-Kollegen Jan Böhmermann, mit dem Sie im Streit auseinandergingen?
Nein. Denn unsere Vergangenheit tut mir so am Herzen weh, dass ich das nicht kann. Und dann mache ich das auch nicht. Aber ich sagte zu meinem Kumpel, dass der einzige Mensch, mit dem ich mir vorstellen könnte, jede Woche eine Stunde einen Podcast zu machen, Martin sei. Und alle haben mich ausgelacht, weil sie nicht daran geglaubt haben.
Hat das Ihren Ehrgeiz geweckt?
Ja, obwohl das eigentlich anfangs ein Witz war, weil es das Krasseste überhaupt ist, diese heimliche Person im Hintergrund so in die Öffentlichkeit zu zerren. Aber ich gleichzeitig dachte ich: Moment, das ist doch genial! Wir reden über unsere Beziehung im Podcast, so richtig Hardcore über alles: Sexualität, Geld, Patchwork-Familie… Und dann schlug ich es meinem Mann vor und seine Reaktion war: „Charlotte, es könnte sein, dass das die beste Idee deines Lebens ist, aber leider bin ich ja nun mal dein Mann.“ Später knickte er ein, weil er wusste, dass es viele Gründe für ihn gäbe, es nicht zu machen, aber Angst nicht sein Berater sein darf – und dann hat er ja gesagt.
Wie werden Sie das umsetzen?
Wir haben bei uns Zuhause im Gästezimmer ein Soundkabuff aufgebaut. Da werden wir einmal die Woche reingehen und das aufnehmen. Wir legen das jeweilige Thema fest wie Finanzen, Eifersucht oder Fremdgehen, damit wir eine sinnvolle Reihenfolge in den Podcasts haben. Aber ich werde nur vier Wörter auf einem Zettel ins Gespräch mitnehmen und das komplett Freestyle machen. Ich freue mich schon so, wenn ich dann merke, dass er ausweicht und ich ihm auf den Zahn fühlen kann.
Gibt es etwas, worüber Sie nicht reden werden?
Ja, ein Tabu gibt es: detaillierte Sachen über die Kinder zu erzählen. Ich will nicht meine Kinder verraten, die sind Teenager, die müssen geschützt werden. Meine Tochter und sein Sohn sind beide 16, wir haben sie gefragt, und sie haben zugestimmt. Und wenn sie bei einem Thema wie Taschengeld vorkommen, sollen wir fragen, was wir erzählen dürfen und was nicht. Und daran halten wir uns.
Ist Ihren Kindern das nicht peinlich?
Ja, natürlich, die werden es sich auch nicht anhören. Die finden ja so schon vieles peinlich, was wir machen. Mega-peinlich sogar! (lacht)
Interview: Katja Schwemmers
„Paardiologie“ erscheint ab dem 21. Juni wöchentlich am Freitag um 00:01 Uhr exklusiv auf Spotify.