Jahrhundert-ProzessHarvey Weinstein: 7 Fragen – 7 Antworten zum Prozess
Die Jury steht nach komplizierter Geschworenensuche. Im Prozess gegen Harvey Weinstein wegen Sexualverbrechen geht es jetzt richtig los. Einige befürchten eine Schlammschlacht. Die wichtigsten Fragen.
„Dieser Prozess ist kein Referendum über die MeToo-Bewegung“, sagte Richter James Burke vergangene Woche und sprach damit eine der großen Herausforderungen der Verhandlungen um Ex-Filmmogul Harvey Weinstein an. Mehr als 80 Frauen, darunter bekannte Schauspielerinnen wie Angelina Jolie und Salma Hayek, haben dem 67-Jährigen sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Ihre Anschuldigungen lösten 2017 die weltweite MeToo-Bewegung aus und machten Weinstein zum Symbol eines Mannes, der seine Macht ausnutzt, um Frauen zu missbrauchen und danach mundtot zu machen.
Doch beim Prozess in Manhattan, der am Mittwoch (22. Januar) mit den Auftaktplädoyers inhaltlich startet, geht es nicht um 80, sondern um zwei Fälle – und nur um diese, betonte Burke.
Ein Überblick über die wichtigsten Fragen in dem weltweit beachteten Fall:
Hat der Prozess nicht schon längst angefangen?
Hat er zwar, aber bei den bisherigen Sitzungen seit dem 6. Januar ging es nicht um Inhaltliches, sondern vor allem um die Auswahl der Jury aus zwölf Juroren und sechs Ersatzjuroren. Weil die nicht befangen sein dürfen, war die Suche bei diesem Prozess, dem wohl fast niemand neutral gegenüber steht, recht lange kompliziert.
Außerdem lieferten sich Weinsteins Anwälte ein Scharmützel mit Richter Burke, weil dieser Weinstein wegen unerlaubter Handybenutzung zurechtgewiesen hatte: „Ist das wirklich die Art und Weise, wie Sie für den Rest Ihres Lebens im Gefängnis landen wollen, weil sie entgegen der Regeln eine SMS verschickt haben?“, sagte Burke. Einen darauf folgenden Antrag der Verteidigung auf seine Absetzung wies der Richter zurück.
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Und was passiert jetzt?
Ab Mittwoch geht es mit den Auftaktplädoyers erstmals in die Vollen. Chefanklägerin Joan Illuzzi-Orbon und Weinsteins Hauptanwältin Donna Rotunno werden von Anfang an versuchen, die Deutungshoheit über den Fall zu gewinnen. Am Ende – der Prozess soll insgesamt länger als zwei Monate dauern – hängt alles davon ab, ob die Jury von der Schuld des Ex-Filmmoguls überzeugt ist. Dem 67-Jährigen werden Vergewaltigung, kriminelle sexuelle Handlungen und räuberische sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Ihm droht lebenslange Haft.
Worum geht es in den beiden Fällen?
Es geht um die Fälle von zwei Frauen, die angeben, dass Weinstein sie sexuell misshandelt habe. Produktionsassistentin Mimi Haleyi sagt, dass er sie 2006 in seiner Wohnung in New York zum Oralsex gezwungen habe. Die zweite Frau ist bislang anonym geblieben. Sie wirft Weinstein vor, sie im März 2013 in einem Hotel vergewaltigt zu haben.
Warum geht es nur um die zwei Fälle?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen zählen bei dem Prozess in Manhattan nur Vorfälle, die auch in New York geschehen sind. Mutmaßliche Taten zum Beispiel in Los Angeles kommen nicht in Frage. Zudem sind viele der New Yorker Fälle bereits verjährt. Dazu müssen die Frauen, deren Anschuldigungen die rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllen, willens sein, die immense Belastung eines international beachteten Prozesses auf sich zu nehmen. Sie müssen damit rechnen, von Weinsteins Verteidigung öffentlich als unglaubwürdig dargestellt zu werden.
Für die Anklage ging es auch darum, möglichst wasserdicht belegbare Vorwürfe zu finden. So legte die Staatsanwaltschaft einen Fall ab, weil das mutmaßliche Opfer einer Person angeblich erzählt hatte, in den Sex mit Weinstein eingewilligt zu haben.
Welche Strategie wird die Verteidigung verfolgen?
Generell hat Weinstein die Vorwürfe immer bestritten und gesagt, jeder sexuelle Kontakt sei einvernehmlich gewesen. Von Donna Rotunno, die auf die Verteidigung von Männern spezialisiert ist, denen Sexualverbrechen vorgeworfen werden, wird ein aggressives Vorgehen erwartet. Sie wird versuchen, bei der Jury Zweifel zu säen, dass die Frauen wirklich Opfer von Weinstein sind.
Daran ließ Rotunno bei der Jury-Auswahl und auch gegenüber dem Branchenmagazin „Variety“ keine Zweifel: „Harvey Weinstein war der Typ, der die Schlüssel für das Schloss hatte, in das jeder rein wollte. Und die Leute haben ihn benutzt und benutzt und benutzt“, sagte sie. Diese Strategie sollen dabei von Weinstein veröffentlichte Mails des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers stützen, in denen dieses Berichten zufolge unter anderem schreibt, dass sie Weinstein liebe.
Wie wird die Staatsanwaltschaft vorgehen?
Es wird eine große Herausforderung für die Ankläger, bestimmte sexuelle Vorwürfe – allen voran die Vergewaltigung – zweifelsfrei zu belegen. Ihr Trumpf könnten Zeuginnen werden, die dem Ex-Filmmogul ebenfalls sexuelle Verbrechen vorwerfen, deren Fälle aber nicht verhandelt werden. Ihre Aussagen sollen ein wiederkehrendes Muster sexueller Übergriffe offenlegen, das die beiden verhandelten Fälle stützen und die Jury von ihrer Wahrhaftigkeit überzeugen soll.
Ist Weinstein nicht sowieso schuldig?
Es gab wohl nur wenige Fälle in der Geschichte, in der ein Angeklagter in der Öffentlichkeit schon vor dem Prozess so eindeutig als schuldig dargestellt wurde. Die unzähligen Artikel mit den Beschreibungen von Dutzenden Frauen zeichnen das Bild eines aggressiven Mannes, der junge Frauen mit dem Versprechen ihre Karriere zu fördern immer wieder in Hotelzimmer lockte und Gegenwehr mit all seiner Macht beiseite wischte. Die Wirkung der Berichterstattung spiegelt sich auch darin, wie viele potenzielle Juroren sich in den ersten Prozesstagen für befangen erklärten und sagten, sie könnten nicht unvoreingenommen am Prozess teilnehmen.
Doch Geschichten, die sich in großen Zeitungen vernichtend lesen, sind noch lange keine gerichtsfesten Fälle mit der Garantie einer Verurteilung. Es gibt viele mögliche Wendungen und Enthüllungen, die den Prozess gegen Harvey Weinstein in die eine oder die andere Richtung beeinflussen können. Auch deshalb gilt der Ausgang als völlig offen. Doch egal, was im Saal 1530 des Obersten New Yorker Gerichts am Ende verkündet wird, für Weinstein wird es dann nicht vorbei sein. Auf ihn wartet in Los Angeles bereits eine weitere Anklage. (Christina Horsten und Benno Schwinghammer, dpa)